Cugel der Schlaue
Cugel und die Fuhrleute – zu der Bogenhalle vor dem alten Palast, wo Chaladet auf einem wuchtigen Stuhl saß. Zu seinen beiden Seiten stand das Kollegium der Thuristen. Alle sahen Shimilko mit düsterer Miene entgegen.
»Was ist der Grund für diese Vorladung?« erkundigte sich der Karawanenmeister. »Weshalb seht Ihr mich so streng an?«
Der Großthururge sprach mit tiefer Stimme: »Shimilko, die siebzehn Maiden, die Ihr von Symnatis hierherbrachtet, wurden untersucht, und ich bedauere sagen zu müssen, daß von ihnen nur noch zwei unberührt sind. Die übrigen fünfzehn wurden entjungfert.«
Shimilko konnte vor Entrüstung kaum verständlich sprechen. »Unmö-möglich«, stammelte er. »In Symnatis traf ich die sorgfältigsten Vorsichtsmaßnahmen. Ich kann drei verschiedene Dokumente vorweisen, die die Unberührtheit jeder einzelnen beweisen werden.«
»Wir täuschen uns nicht, Meister Shimilko. Die Sachlage ist, wie ich sie darlegte und kann ohne weiteres bewiesen werden.«
»›Unmöglich‹ und ›unglaublich‹ sind die einzigen Worte, die mir in den Sinn kommen!« rief der Karawanenmeister. »Habt Ihr die Mädchen selbst befragt?«
»Natürlich. Sie heben lediglich den Blick zur Decke und pfeifen durch die Zähne. Shimilko, wie erklärt Ihr Euch diese Verruchtheit?«
»Ich bin verwirrt und völlig außer mir! Die Mädchen traten die Reise so rein wie am Tag ihrer Geburt an. Das ist die Tatsache. Den ganzen Tag achtete ich auf sie und ließ sie nicht aus den Augen. Das ist die Wahrheit!«
»Und während Ihr geschlafen habt?«
»Da ist die Unvorstellbarkeit nicht geringer. Die Fuhrleute zogen sich immer gemeinsam zurück. Ich selbst teilte meinen Wagen mit dem Oberfuhrmann, und jeder von uns kann sich für den anderen verbürgen. Und Cugel bewachte inzwischen die gesamte Karawane.«
»Allein?«
»Ein Wächter genügt, obgleich die Stunden der Nacht trostlos sind und nicht zu enden scheinen. Doch Cugel beklagte sich nie.«
»Dann ist offenbar Cugel der Schuldige!«
Shimilko schüttelte lächelnd den Kopf. »Cugels Pflichten ließen ihm keine Zeit für Unerlaubtes.«
»Was wäre, wenn Cugel seine Pflichten vernachlässigt hätte?«
Geduldig erwiderte Shimilko: »Ihr dürft nicht vergessen, daß jedes Mädchen sicher in ihrem Abteil, mit einer Tür zwischen sich und Cugel, untergebracht war.«
»Nun, und wenn Cugel diese Tür öffnete?«
Shimilko dachte zweifelnd einen Augenblick darüber nach und zupfte an seinem seidigen Bart. »In einem solchen Fall wäre die Sache natürlich möglich.«
Der Großthururge richtete seine Aufmerksamkeit auf Cugel. »Ich muß darauf bestehen, daß Ihr eine wahrheitsgetreue Aussage zu dieser beklagenswerten Angelegenheit macht!«
Empört rief Cugel: »Diese Untersuchung ist eine Unverschämtheit! Man zieht meine Ehre in den Schmutz!«
Chaladet bedachte Cugel mit einem milden, aber etwas eisigen Blick. »Man wird Euch Gelegenheit geben, sie zu säubern. Thuristen, ich übergebe diese Person in euren Gewahrsam. Sorgt dafür, daß sie jede Möglichkeit erhält, ihre Würde und Selbstachtung zurückzugewinnen!«
Cugel protestierte lautstark, doch der Großthururge achtete nicht auf ihn. Von seinem hohen Podest schaute er nachdenklich über den Platz. »Ist es der dritte oder vierte Monat?«
»Der Chronolog hat soeben den Monat Yaunt verlassen, um die Zeit Phampouns zu betreten.«
»So ist es. Durch Fleiß mag dieser liederliche Frevler noch unsere Zuneigung und unseren Respekt erringen.«
Zwei Thuristen packten Cugels Arme und führten ihn über den Platz davon. Cugel versuchte, sich zu befreien, doch ohne Erfolg. »Wohin bringt Ihr mich?« fragte er. »Was soll dieser ganze Unsinn?«
Einer der Thuristen erwiderte mit gütiger Stimme: »Wir bringen Euch in Phampouns Tempel, und es ist durchaus kein Unsinn.«
»Es gefällt mir gar nicht«, brummte Cugel. »Nehmt Eure Hände von mir. Ich beabsichtige, Lumarth sofort zu verlassen.«
»Man wird Euch entsprechend helfen.«
Die Gruppe marschierte eine abgetretene Marmortreppe hoch, durch ein riesiges Bogenportal, in eine echoende Halle, die lediglich durch ihre hohe Kuppel und einen Schrein oder Altar am hinteren Ende bemerkenswert war. Cugel wurde in eine Nebenkammer geführt. Sie war mit dunkelblauem Holz getäfelt und nur durch das Licht erhellt, das von einem hohen runden Fenster kam. Ein Greis mit weißem Gewand trat ein und fragte: »Wen haben wir denn hier? Eine Person, die an einem Gebrechen
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