Cupido #1
in den Augen der Medien zum Star des Tages machte, ein Phänomen, das sie aus tiefstem Herzen verabscheute.
In ihren zehn Jahren bei der Staatsanwaltschaft hatte sie Prozesse gegen alle möglichen Straftäter geführt, angefangen bei dem Fischer, der außerhalb der Fangzeit Langusten fing, bis zum dreifachen Mord, begangen von einer Gang von Siebzehnjährigen. Sie hatte beim Richter auf Geldstrafen plädiert, auf Gemeindearbeit, auf Bewährung, Gefängnis, auf «lebenslänglich». Vor fünf Jahren war sie mit einer Verurteilungsrate von fast hundert Prozent belobigt und zur Major Crimes Unit befördert worden, einer kleinen Spezialeinheit, in der die zehn besten Staatsanwälte versammelt waren. Hier hatten sie und ihre Kollegen zwar eine sehr viel kleinere Zahl von Fällen zu bearbeiten als die anderen 240 Anwälte der überaus beschäftigten Staatsanwaltschaft, doch es handelte sich nicht nur um die schwersten Verbrechen, sondern auch um die, die am schwierigsten zu beweisen waren. Fast immer ging es um Mord, immer war es eine hässliche Sache, und immer musste man mit erhöhtem Medieninteresse rechnen. Organisiertes Verbrechen, Kindsmorde, Hinrichtungen im Bandenmilieu, frustrierte Väter, die nach Feierabend ihre Familie auslöschten. Jeder Fall war ein potenzielles Medienspektakel, einige landeten auf der Titelseite, während andere als Notiz im Lokalteil untergingen. Manche der Verbrechen schafften es gar nicht in die Zeitung, falls sie von einem noch schrecklicheren Mordfall, einem Tornado oder einer schmählichen Niederlage der Dolphins gegen die Jets überschattet wurden.
Während ihrer fünf Jahre bei Major Crimes hatte C. J. ihren Namen nicht nur einmal in der Zeitung entdeckt. Die Aufmerksamkeit machte sie jedes Mal nervös, und sie hasste es immer noch, Interviews zu geben. Sie machte ihre Arbeit, und das tat sie gut. Aber nicht etwa für die Öffentlichkeit oder das Rampenlicht, sondern für die Opfer – für die, die aus ihren Gräbern nicht mehr sprechen konnten. Und für deren unschuldige Freunde und Familien, die, nachdem der Trubel sich wieder gelegt hatte und die Kameras ausgeschaltet waren, immer noch fassungslos waren. C. J. wollte den Opfern einen Eindruck von Gerechtigkeit vermitteln, damit sie sich nicht ganz so ohnmächtig fühlten. Doch in diesem Fall würde das Rampenlicht noch unerbittlicher sein als sonst schon, denn hier hatte C. J. zum ersten Mal die nationalen und internationalen Medien am Hals und nicht nur die Lokalpresse.
Als Manny Alvarez gestern Nacht bei ihr zu Hause anrief, um ihr zu sagen, dass sie im Cupido–Fall einen Verdächtigen hatten, war ihr sofort klar, dass es eine große Sache werden würde. Wahrscheinlich der größte Fall ihrer ganzen Karriere.
Die halbe Nacht hatte sie an den Durchsuchungsbefehlen für Bantlings Haus und seine zwei Autos gesessen. Den Rest der Nacht verbrachte sie damit, sich auf Bantlings erste Anhörung vor Gericht vorzubereiten, die auf zehn Uhr angesetzt war. Und zwischendurch hatte sie noch den Schauplatz auf dem Causeway besichtigt und war in der Gerichtsmedizin vorbeigefahren, um sich die Leiche anzusehen. Dann hatte sie nach drei Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter Oberstaatsanwalt Jerry Tigler zurückgerufen, der aufgebracht darüber war, dass er zwar bei der gleichen Spendenparty für den Gouverneur war wie der Polizeichef von Miami City und der FBI–Heini, man ihn aber offensichtlich nicht zur Afterhour–Party auf dem Causeway eingeladen hatte wie die anderen hohen Tiere. Tigler wollte, dass sie herausfand, warum man ihn übergangen hatte. Und über all dem hatte C. J. schlicht vergessen zu schlafen.
Bantling hatte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach seiner Festnahme das Recht auf eine erste förmliche Anhörung, in der ein Richter entschied, ob die vorläufige Festnahme wegen Mordes an Anna Prado rechtmäßig war. Bestand hinreichender Tatverdacht, dass er das Verbrechen begangen hatte, dessen er beschuldigt wurde? Es war davon auszugehen, dass eine zerstückelte Leiche im Kofferraum als hinreichend verdächtig galt. Normalerweise war die erste Anhörung reine Formsache, eine Affäre von zwei Minuten, die über Monitor gehandhabt wurde, der Beschuldigte saß vor einem Bildschirm im Bezirksgefängnis, und vor dem zweiten Bildschirm in einem winzigen Gerichtssaal auf der anderen Straßenseite saß ein schlecht gelaunter, überarbeiteter Richter mit einem täglichen Anhörungspensum von zweihundert minderen Delikten
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