Cupido #1
diesen Mist einfach nicht mehr gefallen lassen. Dafür war der Job zu schlecht bezahlt.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und Marisol starrte die Aussteigenden an. Hinter einigen der Uniformierten und Schlipsträger entdeckte sie in einem schlichten grauen Anzug und mit einer dunklen Sonnenbrille die Person, auf die sie gewartet hatte.
«Wo bleiben Sie denn?», fauchte sie wütend. «Wussten Sie, dass ich über dreißig Nachrichten für Sie entgegennehmen musste?» Theatralisch blätterte sie durch ihren Block und rannte ihrem Opfer durch die Sicherheitstüren in die Räume der Major Crimes Unit hinterher, bis in das kleine Büro mit der Aufschrift C. J. TOWNSEND, ESQU. ASSISTANT CHIEF. Jetzt wedelte Marisol mit dem Block über ihrem Kopf. «Die ganzen Nachrichten, alle für Sie!»
Der letzte Mensch, dem C. J. Townsend morgens als Erstes begegnen wollte, war ihre zickige Sekretärin Marisol. Ein Tag, der mit ihr begann, konnte gar kein guter Tag mehr werden. Heute war keine Ausnahme. C. J. stellte ihre Aktentasche auf den Schreibtisch, setzte die Sonnenbrille ab und betrachtete die zornige Person, die vor ihr stand: die Hände mit den knallig lackierten künstlichen Nägeln in die Hüften gestemmt, die üppigen Formen in ein neonrosa Lycra–Top und einen geblümten Rock gezwängt, der zwei Nummern zu klein und fünfzehn Zentimeter zu kurz war.
«Soweit ich informiert bin, Marisol, gehört es zu Ihren vertragli–chen Aufgaben, ans Telefon zu gehen und Nachrichten entgegenzunehmen.»
«Aber nicht so viele. Ich bin ja zu gar nichts anderem mehr gekommen. Warum haben Sie nicht angerufen und mir erklärt, was ich den Leuten von der Presse sagen soll?»
Als ob sie irgendetwas täte. C. J.s gezwungenes Lächeln verbarg das Zähneknirschen nur halbherzig. «Sagen Sie der Presse einfach, von unserer Seite gibt es keinen Kommentar, und machen Sie weiter Ihre Arbeit. Ich rufe die zurück, bei denen es nötig ist. Ich habe um zehn Uhr eine Anhörung, auf die ich mich vorbereiten muss. Bitte sorgen Sie dafür, dass ich nicht gestört werde.» Dann konzentrierte sie sich auf ihre Aktentasche und beendete das Gespräch, in dem sie ihre Unterlagen herausnahm.
Marisol schnalzte missbilligend, knallte C. J. den Block auf den Tisch und drehte sich auf den hohen rosa Absätzen um. Sie murmelte ein paar spanische Flüche und stürmte aus dem Büro.
C. J. sah zu, wie sie den Flur hinunter zum Schreibpool stöckelte, wo sie sich wahrscheinlich die nächsten zwei Stunden lang bei den Kolleginnen über die dramatischen Ereignisse des Morgens und ihre schreckliche Chefin beschweren würde. Und wenn es das Letzte war, was C. J. in ihrem Amt erreichte, irgendwann würde sie diese Person versetzen lassen. Am liebsten in die Sozialbehörde ans andere Ende der Stadt. Keine leichte Aufgabe. Marisol war seit zehn Jahren dabei und damit praktisch unkündbar. Wahrscheinlich würde man sie eher mit den Füßen voran in einem übergroßen rosa Leichensack hinaustragen, als dass der Oberstaatsanwalt den Mut zusammenkratzte, sie wirklich zu schassen.
C.J. blätterte durch den rosa Notizblock. NBC Channel 6, WSVN Channel 7 CBS Channel 2, Today Show, Good Morning America, Telemundo, Miami Herald, New York Times, Chicago Tribune, sogar die Daily Mail aus London. Die Liste hörte gar nicht mehr auf.
Die Nachricht von der Festnahme eines Verdächtigen in der Cupido–Mordserie hatte sich in den Medien in den frühen Morgenstunden wie ein Lauffeuer verbreitet, und die wilde Jagd nach Informationen hatte begonnen. Das Zeltlager der Pressefritzen auf der Treppe des Justizgebäudes gegenüber hatte C. J. schon durchs Fenster des Büros gesehen, mit Direktverbindungen via Satellit nach New York und Los Angeles.
Vor einem Jahr hatte der Oberstaatsanwalt C. J. dazu eingeteilt, die Sonderkommission Cupido bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. C. J. war an den Fundorten und bei einigen der Autopsien dabei gewesen, hatte Bevollmächtigungen aufgesetzt, sich beim Gerichtsmediziner informiert, war die Polizei– und Laborberichte durchgegangen und hatte Zeugenaussagen aufgenommen. Auch einen Teil der scharfen Kritik hatte sie abbekommen, mit der sie wegen des Ausbleibens von Erfolgen täglich von der Presse überschüttet wurden. Und jetzt hatte ihr der Einsatz für die Jungs in Blau den Hauptgewinn beschert: Sie würde den Prozess gegen den schlimmsten Serienmörder der Geschichte von Miami führen. Eine Rolle, die sie
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