Cupido #1
Schlinge zu ziehen, dass er mich nicht mal erkannt hat. Ein besserer Witz, wenn man bedenkt, was er mir angetan hat. Gestern hat er nicht mal einen Blick in meine Richtung geworfen», sagte sie leise. «Wahrscheinlich hat er so viele Frauen vergewaltigt, dass er den Überblick verloren hat. Und ich sehe heute weiß Gott auch völlig anders aus als damals.» Sie lächelte bitter und klemmte sich die Haare hinters Ohr. «Nur ich weiß, was er getan hat. Und wenn es irgendwann rauskommt, kann ich immer noch sagen, ich wäre mir nicht sicher gewesen. Ich hätte es nicht gewusst. In New York kann er sowieso nicht mehr verurteilt werden, also opfere ich nichts, wenn ich sage, ich könnte ihn nicht identifizieren. Es gibt keinen Fall mehr in New York.» Sie klang jetzt überzeugt.
«C.J., das ist kein Spiel. Ganz abgesehen von den offensichtlichen ethischen Fragen, die das aufwirft, glauben Sie wirklich, dass Sie es emotional verkraften, die Verhandlung gegen diesen Mann zu führen? Sich immer wieder anzuhören, was er mit diesen Frauen gemacht hat? Und dabei zu wissen, was er Ihnen angetan hat? Es jeden Tag neu zu durchleben, jedes Mal, wenn sie noch ein scheußliches Detail, noch ein Foto zutage fördern?» Dr. Chambers schüttelte den Kopf.
«Ich weiß, was er diesen Frauen angetan hat. Ich habe es ja oft genug gesehen. Und – ja, es wird hart, und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, aber wenigstens weiß ich, dass es gut gemacht wird. Und ich weiß, wo er ist, jede einzelne Minute des Tages.»
«Und was ist mit Ihrer Zulassung? Sie enthalten dem Gericht einen Interessenkonflikt vor.»
«Nur ich weiß, dass es den gibt. Und keiner kann nachweisen, dass ich es weiß. Da müsste ich schon zugeben, dass ich es von vornherein gewusst hätte. Aber ich kann sehr gut damit leben, das abzustreiten.» Sie zögerte einen Moment: Warum war ihr das nicht früher eingefallen? «Bringe ich Sie damit in eine unangenehme Situation, Dr. Chambers?»
Als Arzt war er verpflichtet, der Polizei Bericht zu erstatten, wenn ein Patient drohte, ein Verbrechen zu begehen. Aber C.J.s Verheimlichung war nur eine Verletzung des ethischen Kanons, an den sich ein Anwalt halten musste, und unterlag damit wie alles andere, was in der Sitzung besprochen wurde, der ärztlichen Schweigepflicht. Ein Verbrechen war es nicht.
«Nein, C.J. Was Sie da vorhaben, ist ja nicht kriminell. Alles, was wir in diesem Zimmer besprechen, ist selbstverständlich vertraulich. Aber ich persönlich bin mir nicht sicher, ob ich mit Ihrem Plan einverstanden bin, weder aus therapeutischer Sicht noch aus der eines Kollegen.»
Sie dachte über seine Worte nach. «Ich muss wieder das Gefühl bekommen, ich hätte mein Leben unter Kontrolle. Haben Sie mir das nicht immer gesagt, Dr. Chambers?»
«Ja, das habe ich gesagt.»
«Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Jetzt sitze ich an den Schalthebeln. Weder irgendwelche müden Kommissare aus New York City, noch ein Idiot aus Ocala. Und auch der Clown nicht. Cupido nicht.»
Sie wartete einen Moment, dann nahm sie ihre Handtasche und stand auf. Die Tränen waren getrocknet, und jetzt hatte Wut die Verzweiflung in ihrer Stimme verdrängt. «Ich. Ich habe alles in der Hand. Ich habe die Macht. Und ich werde nicht zulassen, dass dieser Bastard sie mir noch einmal nimmt.»
Dann drehte sie sich um, winkte Estelle zum Abschied, ließ die Beschaulichkeit der schicken blaugelben Praxis hinter sich und trat auf die Straße.
32.
«Gerichtsmedizinisches Institut, guten Tag.»
«Agent Dominick Falconetti und Detective Manny Alvarez. Wir sind um halb zwölf mit Dr. Joe Neilson verabredet.»
«Dr. Neilson erwartet Sie in der Lobby.»
Das Tor schwang automatisch auf, und von der belebten 14. Street fuhr Dominick in die Einfahrt und parkte den Pontiac auf einem Parkplatz mit dem Schild «Nur Polizei», genau vor der Glastür des zweigeschossigen roten Backsteingebäudes. Und genau neben einem nagelneuen schwarzen Leichenwagen.
Manny öffnete langsam die Beifahrertür und stieg aus. Auf der Fahrt von der Zentrale zur Gerichtsmedizin war er ungewöhnlich still gewesen. Als Dominick ihm nicht sogleich folgte, beugte er sich in den Wagen und rief: «Kommst du, Dom?» Es lag eine nervöse Schärfe in seiner Stimme.
«Ja, gleich, Bär, ich komme nach. Ich muss nur noch mal telefonieren.» Dominick kramte sein Handy aus der Tasche. Ganz offensichtlich wartete er, dass Manny vorging.
Manny Alvarez warf einen Blick auf das
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