Cupido #1
Backsteingebäude und verzog das Gesicht. Er hasste das Institut. Es war der einzige Teil seines Jobs, der ihm immer noch Schwierigkeiten bereitete, selbst nach sechzehn Jahren und hunderten von Mordopfern. Dabei waren es weniger die Toten in den Kühlkammern, die ihm zusetzten. Er konnte den ganzen Tag neben einer Leiche sitzen, ohne dass es ihm etwas ausmachte. Selbst die Verwesten oder die «Schwimmer» ließen ihn kalt, denen oft die Augen oder ganze Körperteile fehlten und die fast schon täglich aus einem der viertausend Kanäle, Seen und Teiche in und um Miami gezogen wurden. Ganz zu schweigen von denen, die plötzlich im Miami River neben den Fischern auftauchten oder im Atlantik die Surfer zu Tode erschreckten. All das rührte Manny nicht, außer natürlich, es war ein Kind. Er konnte es nicht ausstehen, wenn das Opfer ein Kind war – das war immer schlimm. Aber prinzipiell waren es nicht die Leichen, die ihm zusetzten, sondern das, was mit ihnen in diesem Institut passierte.
Natürlich, die Obduktionen waren ein Teil seines Jobs, und als leitender Detective in einem Mordfall musste er immer wieder dabei sein. Welche der dreizehn Kugeln, die dem Opfer den Rücken durchschlugen, war fatal gewesen? Welcher Stich tödlich? War es Selbstmord oder Mord? Er hatte also seinen Teil an Autopsien gesehen, und deswegen würde er auch nicht gleich den Beruf aufgeben. Aber er hasste es aus tiefster Seele, die klinische Kälte der ganzen Prozedur. Er hatte es immer verabscheut und sich nie daran gewöhnen können. Die mannshohen Kühlschränke, die eisigen, weiß gekachelten Räume, die Stahltische, das grelle Licht, die Organwaagen, die Knochensägen und Rippenhebel, der schwarze Faden, mit dem die Leichen am Ende wieder zugeflickt wurden. Bei der Leichenöffnung waren die Toten keine Opfer mehr; sie waren nur noch Kadaver – Objekte, mit denen ein paar Freaks sich amüsierten, denen das auch noch Spaß machte, die gerne Leichen aufschnitten – die sich jeden Tag auf ihre Arbeit freuten. In diesen arktischen Räumen lagen die Leichen nackt und bloß auf dem Stahltisch, und jeder konnte sie angaffen, vom Hausmeister bis zum Studenten. Bis dann so ein Arzt mit einem Allesschneider kam und ihnen die Schädeldecke auffräste, um reinzuglotzen, was drin war und wie viel es wog. Manny war das alles viel zu klinisch, und er fand es grässlich. Schlicht und einfach. Und er fand, dass Leichenbeschauer sowieso unheimliche Menschen waren. Warum suchte sich jemand das zum Beruf aus, tote Körper aufzuschnippeln und mit Eingeweiden herumzuspielen? Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass man sich das so ähnlich auch bei einem Mitglied der Mordkommission fragen konnte. Mit einigem Recht sogar ... Vielleicht lag es ja daran, dass Manny sich immer vorstellen musste, selbst eines Tages auf dem Stahltisch zu liegen, nackt und kalt und jeder Würde beraubt, während die Elektrosäge kreischte und der Gerichtsmediziner und sein Praktikant Witze über die Größe seines Schwanzes und die Menge seines Fettgewebes machten.
Heute wollten er und Dominick sich nur mit Dr. Neilson treffen, um ihm ein paar Fragen zur gestrigen Obduktion von Anna Prado zu stellen. Doch allein schon das Gebäude, das Bewusstsein, was unten im Keller vor sich ging, während sie oben bei Kaffee und Keksen saßen, bereitete Manny Herzflattern. Und falls er heute auf dem kalten Fliesenboden einem Infarkt erlag, wollte er auf keinen Fall, dass es Dr. Neilson wäre, der an ihm herumfummelte.
Manny warf Dominick durch die offene Wagentür einen flehentlichen Blick zu. Tu mir das nicht an, Amigo.
«Bei Neilson krieg ich Gänsehaut. Er ist abartig.» Nervös sog der Bär die letzten Züge seiner Zigarette ein.
«Bei jedem Gerichtsmediziner kriegst du Gänsehaut, Manny.»
«Ja, aber ...» Er sah Dominick noch einmal an, der immer noch das Telefon in der Hand hielt und darauf wartete, dass Manny sich endlich verzog. «Okay, okay. Weißt du was? Du machst deinen Anruf, und ich warte so lange an der Tür auf dich. Besser gesagt, vor der Tür.»
«Für einen großen, gefährlichen Cop bist du wirklich ein ziemlicher Schisshase, Bär. Also gut. Ich treffe dich vor der Tür. Eine Minute.»
Sobald Manny außer Sichtweite war, wählte Dominick noch einmal C. J.s Durchwahl im Büro in der Hoffnung, sie persönlich an die Leitung zu bekommen. Aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Er hinterließ eine kurze Nachricht. «Hallo. Hier ist Dominick. Manny und ich
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