Cupido #1
sind jetzt bei Neilson. Ich habe dich angepiept, aber du hast den Pager wohl nicht dabei. Ich dachte, du wolltest dazukommen. Melde dich, wenn dich diese Nachricht erreicht. Meine Nummer ist drei–null–fünf–sieben–sieben–sechs–drei–acht–acht–zwei.»
Er hielt das Telefon noch einen Moment in der Hand und beobachtete den ungepflegten alten Mann, der auf dem Fahrersitz des Leichenwagens ein Sandwich aß und aus einer Flasche in einer braunen Papiertüte trank. In Anbetracht seines Berufs schätzte Dominick, es war Bier, mit dem er seinen Lunch hinunterspülte.
Gegen alle Vernunft begann Dominick sich schon wieder Sorgen um C. J. zu machen. Gleich morgens früh hatte er bei Marisol die Nachricht hinterlassen, dass sie sich um 11:30 Uhr bei Dr. Neilson trafen, und er wusste, dass C. J. ins Büro gekommen war. Aber sie hatte ihn nicht zurückgerufen. Er hatte sie ein paar Mal angepiept, doch er hatte immer noch nichts von ihr gehört, und das war untypisch für sie. Auf jeden Fall hätte er das vor vierundzwanzig Stunden noch gedacht. Irgendwas war los mit ihr seit Bantlings Anhörung, das konnte sie abstreiten, soviel sie wollte. Er hatte die Angst in ihren Augen gesehen, ihre Körpersprache im Gerichtssaal beobachtet, als sie totenbleich wurde und vor Richter Katz diesen Aussetzer hatte. Und dann, gestern Abend, als der Name Bantling fiel, war ihr wieder alle Farbe aus dem Gesicht gewichen, und sie hatte ihn ziemlich schnell nach Hause geschickt. Dominick war kein Superhirn, aber das brauchte es auch nicht, um zu merken, dass C. J. Townsend, die eiserne Staatsanwältin, vor irgendetwas Todesangst hatte. Doch wovor bloß? Und wie hing das mit William Rupert Bantling zusammen?
Außerdem versuchte Dominick mühsam, sich über seine Emotionen klar zu werden. Als er C. J. so gesehen hatte, im Gerichtssaal, in ihrer Küche – wie sie so ängstlich und bedrückt und verletzlich gewirkt hatte –, da hatte er sie plötzlich nur noch beschützen wollen. Er wollte sie in seine Arme nehmen und alles Böse von ihr fern halten. Das war seltsam, denn solche Gefühle sahen ihm überhaupt nicht ähnlich. Na gut, sie hatten in den letzten Monaten ein wenig geflirtet, und natürlich gefiel sie ihm. Wichtiger noch, er respektierte C.J. Er mochte ihren Scharfsinn, ihre Unabhängigkeit, ihre Bereitschaft, sich in einem System zurechtzufinden, das mehr Fallgruben hatte als festen Boden. Sie kämpfte vor Gericht leidenschaftlich für ihre Schützlinge, die Opfer, fast als müsste sie nicht nur den zwölf Geschworenen etwas beweisen, sondern auch sich selbst. Es war großartig zuzusehen, wie sie am Schluss ein Plädoyer hielt oder komplizierte Einsprüche gegen die besten, die egoistischsten, die narzisstischsten Staranwälte von Miami durchbrachte. Das alles mochte er an ihr.
Während der letzten Monate, in denen sie sich immer ungezwungener unterhalten hatten, merkte er, dass sie mehr gemeinsam hatten als nur Mandanten, Richter und Verteidiger. Vor der Cupido–Sonderkommission hatte er sie als Staatsanwältin respektiert. Doch jetzt mochte er sie auch als Mensch, als Frau. Er hatte daran gedacht, sie vielleicht einmal zum Essen einzuladen oder ins Kino, aber in den letzten zehn Monaten hatte er sechzehn Stunden täglich an diesem Fall gearbeitet, sieben Tage die Woche, und irgendwie war er einfach nicht dazu gekommen. Oder vielleicht hatte er sich aus anderen Gründen die Zeit auch nicht genommen? Wahrscheinlich der gleiche Psychokram, den er laut seinem Seelenklempner schon vor fünf Jahren hätte bewältigen sollen. Als Natalie gestorben war. Aber gestern Abend hatte er alles beiseite geschoben, was immer es auch war, das ihn bewusst oder unbewusst belastete, und hatte an der Tür einem Impuls nachgegeben. Das bereute er jetzt. Vielleicht hatte er sie mit dem Kuss verschreckt.
Der Mann im Leichenwagen hatte sein Sandwich aufgegessen. Wahrscheinlich war ihm klar geworden, dass Dominick nicht zufällig auf dem Polizeiparkplatz stand, denn von der braunen Papiertüte war nichts mehr zu sehen.
Dominick stieg aus und lief die Zementstufen zum Eingang hinauf. Eine Frau, die er als eine der Empfangsdamen erkannte, stand draußen und rauchte unter dem Vordach eine Zigarette. Dabei unterhielt sie sich mit einem Ermittler der Gerichtsmedizin, der doppelt so alt sein müsste wie sie. Dominick kannte ihn, er war früher Detective beim MDPD gewesen und war wegen der besseren Rentenansprüche und Arbeitszeiten hierher
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