Cupido #1
Zeitung.»
«Ich glaube nicht, dass ich Ihnen dann helfen kann.» Ein kurzes Schweigen entstand. «Wissen Sie vielleicht das Datum? Die Adresse? Den Namen des Ermittlers? Oder sonst was?»
«Ja, ich habe ein Datum, sechzehnter September 1989. Die Adresse ist eins–eins–sechs–zwei Schiller. Keine Apartmentnummer. Hier steht nur, dass das Chicago Police Department die Ermittlung führt.»
«Gut. Vielleicht reicht das. Warten Sie. Ich muss das eingeben und dann sehen, was dabei rauskommt. Das kann eine Weile dauern.»
Genau zwölf Minuten später war sie wieder am Apparat. Plötzlich klang sie netter.
«Ich habe es. Das Aktenzeichen ist F neunundachtzig–zwei–zwei–zwei–drei–vier X. Drei Seiten. Der Name des Opfers war Wilma Barrett, neunundzwanzig. Tätlicher Angriff und Vergewaltigung in der Erdgeschosswohnung, Apartment eins A, steht hier. Ist das die Sache, nach der Sie suchen?»
«Ja, das muss sie sein. Können Sie mir sagen, wie es weitergegangen ist? Wurde das Verbrechen je aufgeklärt?»
«Warten Sie, ich sehe nach. Nein. Wurde es nicht. Keine Festnahme. Der ermittelnde Detective hieß Brena, Dean Brena. Vielleicht gibt es ihn noch. Aber wir haben Tausende von Beamten in unserem Department. Ich kenne längst nicht alle, und das Ganze ist ja auch schon eine Weile her. Soll ich Sie an die Abteilung für Sexualdelikte weiterleiten?»
«Noch nicht, danke. Ich muss mir erst mal den Polizeibericht ansehen, ob der Fall überhaupt mit meinem hier zu tun hat. Können Sie ihn mir faxen?»
«Kein Problem. Es dauert wahrscheinlich ein paar Minuten. Sagen Sie mir Ihre Nummer?»
C. J. gab sie ihr, und dann bezog sie Posten neben dem Faxgerät. Das Sekretariat, wo der Apparat sich neben Marisols Schreibtisch befand, bestand aus zehn Arbeitsplätzen, die jeweils durch eine Trennwand von einander abgeschirmt waren. Es lag genau in der Mitte der Major Crimes Unit. Von dort aus führten kurze Flure zu den Fensterbüros, in denen die Staatsanwälte arbeiteten, und ein längerer Flur zu der bewachten Sicherheitsschleuse und den Fahrstühlen.
Hier kam C. J. sich wie ein fetter Teenager vor, der uneingeladen in Jeans und Anorak bei einer Poolparty auftaucht. Sie wusste, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Die Gespräche und das Lachen, die eben noch in Gang gewesen waren, versiegten sofort, nachdem man sie am Faxgerät erspäht hatte. Argwöhnisches Schweigen senkte sich über das Großraumbüro.
In der Staatsanwaltschaft – genau wie in anderen Unternehmen und Betrieben auch, nahm sie an – herrschte eine stillschweigende soziale Trennung zwischen den Mitarbeitern. Die Kollegen von der Verwaltung gesellten sich zu den Kollegen von der Verwaltung, die Anwälte zu den Anwälten, Sekretärinnen und Assistenten mischten sich mit Sekretärinnen und Assistenten. Grenzüberschreitungen waren zwar nicht direkt anstößig, doch sie waren selten und ungewöhnlich. Und C. J. hatte gleich drei Faktoren gegen sich. Als stellvertretende Oberstaatsanwältin war sie Mitglied des Vorstands und damit der Verwaltung, und als Anklägerin war sie natürlich Anwältin. Dazu war sie Marisols Chefin, und auch wenn Marisol jeden normalen Menschen in die Trunksucht trieb, war sie immer noch Teil des Sekretariats, und ihre Kolleginnen stellten sich schützend vor sie. Als C. J. also den Schreibpool betrat, war sie in Feindesland, und die Gespräche verstummten.
Während C.J. innerlich betete, das Fax möge endlich ankommen, lächelte sie den Sekretärinnen gekünstelt zu, und die meisten nickten unsicher zurück. Nach einer kurzen Ewigkeit piepte das Gerät endlich und spuckte das fünfseitige Fax aus. Ein letztes verkrampftes Mundwinkelverziehen, und C.J. verschanzte sich wieder in ihrem Büro.
Um sieben Uhr abends hatte sie mit den Archiven aller sechs Polizeidienststellen gesprochen und von allen ein entsprechendes Fax bekommen.
Es war, als läse sie den Bericht ihrer eigenen Vergewaltigung in sechs Variationen. Die Einbruchmethode war stets die gleiche: immer Erdgeschosswohnungen, immer mitten in der Nacht, wenn die Frau bereits schlief. Auch der Tathergang war der gleiche: Die Opfer wurden gefesselt und geknebelt und dann von dem muskulösen Fremden missbraucht, der eine Latexmaske trug, ein Clowngesicht mit abstehendem rotem Nylonhaar und einem riesigen roten Grinsen oder ein Aliengesicht mit schwarzen Augen und grellem Mund. Seine Waffe war stets ein Sägemesser, mit dem er die Unglückliche bedrohte und misshandelte. Die
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