Cupido #1
ihre Enkelkinder als Jungfrauen zur Welt kommen. Und dann wachen sie wie Dornröschen in irgendeinem Hotelzimmer auf und erinnern sich an nichts. Den Perversen, der neben ihnen liegt, fragen sie: ‹Wo bin ich?› Das Problem ist nicht, dass ich Neilsons Theorie nicht glaube, Boss. Ich finde ihn nur einfach ekelhaft, so, wie er die ganze Zeit rumzuckt und rumblinzelt.»
«Ja. Wahrscheinlich hat er eine Art nervösen Tic.»
«Er ist jedenfalls verdammt unheimlich, wenn du mich fragst. Und das Beste hab ich dir noch gar nicht erzählt – und Neilson freut sich drüber wie ein Schneekönig –, er hat noch eine Droge bei ihr gefunden. Anscheinend hatte er das Opfer an einen Tropf gehängt, denn nur so kann das Zeug verabreicht werden. Höchstwahrscheinlich floss der Dreck immer noch durch ihre Venen, als sie starb. Es heißt Mivacron. Das ist jedenfalls der Markenname. Hast du schon mal davon gehört?»
«Nein.»
«Ich auch nicht. Das Zeug ist ein Muskelrelaxans, aber es macht dich nicht bewusstlos; es lähmt dich nur. Und die Krone ist: Es hat überhaupt keine schmerzstillende Wirkung. Du spürst alles – du kannst dich nur nicht bewegen. Wie hört sich diese kranke Scheiße an? Neilson sagt, sie hing am Tropf, als Cupido ihr die Brust aufknackte und das Herz rausschnitt. Er meint, er hätte auch Hinweise darauf, dass ihre Lider festgeklebt waren, sodass sie die ganze Zeit zuschauen musste.»
C. J. brachte kein Wort heraus. Eine Szene baute sich vor ihrem geistigen Auge auf. Bantling hatte sie gezwungen zuzusehen, wie er ihr den Busen zerschnitt. Instinktiv legte sie sich schützend die Hand auf die Brust. Sie erinnerte sich an den fürchterlichen Schmerz, der sie durchschoss, den Schrei, der wieder und wieder durch ihren Kopf gellte, aber nur dort. Ihr war schwindelig, als müsste sie sich übergeben. Der Morgenkaffee machte sich unangenehm in ihrem Magen bemerkbar. Sie setzte sich vorsichtig hin.
Es gab eine lange Pause, bis wieder Mannys Stimme zu hören war. «Boss? Bist du noch da?»
«Ja, Manny. Ich denke nur nach», sagte sie, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie hatte sich nach vorn gebeugt, damit wieder Blut in ihren Kopf floss. Sie musste stärker werden, sich abhärten. Denn sie war fest entschlossen, das alles durchzustehen.
«Ich dachte, du wärst weg. Neilson glaubt, dass Prado nicht die Einzige war, mit der er das gemacht hat. Jetzt, wo er weiß, wonach er sucht, testet er auch nochmal die anderen neun. Vielleicht hat er heute schon ein paar Ergebnisse. Dom ruft ihn an, wenn er bis vier nichts gehört hat. Du solltest mit ihm reden.»
Sie setzte sich wieder auf. Das Schwindelgefühl hatte sich gelegt.
«Ich rufe Neilson selbst an. Ich will mir Prados Leiche ansehen. Vielleicht müssen wir die, die nicht eingeäschert worden sind, exhumieren lassen. Kannst du für mich was über den Arzt herausfinden, der das Haldol verschrieben hat? Ich will wissen, wer ihn behandelt hat und weswegen.»
«Eddie Bowman hat ihn gestern angerufen. Er heißt Fineberg, glaube ich, oder Feinstine. Irgend so was. Der Doc sagte Bowman, ohne richterliche Verfügung könne er sich auf den Kopf stellen. Er hat nicht mal gesagt, ob Bantling sein Patient war. Gottverfluchte Schweigepflicht! ‹Oh, nein, Detective, ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Frauen mein Patient umgebracht hat, das wäre nicht in Ordnung! Die Leute müssen mit ihren Therapeuten sprechen können, ohne Angst haben zu müssen, verhaftet zu werden, nur weil sie einem hübschen Mädchen das Herz rausgeschnitten haben.›»
«Okay, Manny. Gib mir die Daten, und ich beantrage die Verfügung.»
Ein langes Schweigen entstand. C. J. hörte, wie Manny seine Zigarette rauchte, im Hintergrund Verkehrslärm. Schließlich sagte er: «Dieses kranke Schwein haben wir festgenagelt, oder?»
«Ja, das haben wir, Manny», sagte sie leise.
«Jetzt bist du dran, Boss. Mach einfach das Richtige, und lass diesen Scheißkerl in der Hölle schmoren.»
36.
Sie warf einen Blick in den Taschenspiegel und sprach sich ein paar aufmunternde Worte zu, dann stand sie auf und ging ins Gericht hinüber wegen eines Falls, der nächsten Freitag zur Anhörung kommen sollte. Sie musste ihre Gefühle in den Griff bekommen, wenn sie weitermachen wollte. Dr. Chambers hatte Recht – wahrscheinlich würde sie täglich Dinge zu sehen und zu hören bekommen, die schmerzhafte Erinnerungen an den 30. Juni 1988 auslösten. Es hatte bereits begonnen, und jedes
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