Curia
heute? England?«
Théo zeigte ihm einen Brief. »In dem Dossier ›Carter-Tutanchamun‹ von 1924 habe ich einen zweiten Brief von Bisson de la Roque gefunden. Er datiert vom 16. April 1924 und ist ebenfalls an Bénédite adressiert.«
De la Roque schrieb, zwei Wochen nach dem Streit zwischen Allenby und Carter sei der englische Admiral Hugh Sinclair in Kairo eingetroffen und habe Allenby mehrmals getroffen.
»1924 war Admiral Sinclair Chef des Secret Intelligence Service, besser bekannt als MI 6.«
»Der englische Geheimdienst? Willst du damit sagen, der Papyrus befindet sich in deren Archiven?«
»Kannst du dir einen anderen Ort vorstellen?«
»Adieu, Papyrus.« Gaston ließ seinen Kugelschreiber auf den Tisch fallen.
Théo rieb sich den Nasenrücken.
»Théo, komm ja nicht auf dumme Ideen. Nicht mal dein Freund Konstantine könnte sich in die Archive des MI 6 einschleichen.«
»Zunächst einmal müssen wir sicher sein, dass sie den Papyrus wirklich haben.«
»Wie?«
Tja, wie? Spyro darauf ansetzen? Nein, das wäre naiv. Dieser Papyrus war von unschätzbarem politischen Wert, der weitaus größer war als sein archäologischer, und Spyro hätte ein ganz anderes Geschäft dahinter gewittert. Moment mal.
Es war, als wäre die Spitzhacke eines Fellachen bei Ausgrabungen im Tal der Könige gegen etwas gestoßen. Stehlen? Der Begriff war völlig fehl am Platz.
»Dieser Papyrus gehört England nicht«, sagte Théo.
»Nein? Wem denn?«
»Ägypten. Carter hat ihn aus Tuts Grab gestohlen, und das wussten die Engländer. Der MI 6 betreibt Hehlerei mit gestohlenen Altertümern.«
»Na, das ändert natürlich alles! Du brauchst Doktor Ghazi von der ägyptischen Supreme Council of Antiquities nur einen Wink zu geben und zusammen mit ihm am Empfang des MI 6 in London vorstellig zu werden. Ihr fragt nach dem Chef, und wenn ihr dann in seinem Büro seid, musst du ihm nur noch ein wenig drohen, und schon spuckt er aus. Warum haben wir nicht gleich daran gedacht?«
Théo dachte an Joubert, den Leiter der Abteilung Kunst und Altertümer bei Interpol in Lyon. Warum sollte er seinem alten Freund, dem Inspektor, nicht eine hübsche Geschichte erzählen?
»Es gibt einen Weg«, sagte Théo. »Erinnerst du dich an Joubert, den Inspektor von Interpol?«
»Den Dackel?«
»Genau den.«
Théo vertraute Gaston seinen Plan an. Der hörte ihm ungerührt zu und betrachtete ihn über den Rand seiner Brille hinweg.
»Gut zu wissen.« Gaston ließ seine Fliege am Gummiband zurückschnellen. »Ich aktualisiere sofort meinen Lebenslauf, und wenn sie dir dann zehn Jahre Zwangsarbeit verpassen, lasse ich mich vom Louvre an deinen Platz setzen.«
Das Licht einer Wandlampe spiegelte sich in einer Statue des Gottes Anubis aus schwarzem Marmor. Ein Quietschen unterbrach die Stille in dem leeren Flur, und hinter der Statue des Gottes kam eine Putzfrau hervor, die ihren Wagen schob.
Als die Frau um die Ecke gebogen war, glitt ein Schatten an der Statue Ramses des Großen vorbei und schlüpfte im Schutz der Dunkelheit in Théos Büro.
Das Licht der Schreibtischlampe beleuchtete Michaela Rosenberg. Sie blätterte in den auf dem Tisch liegenden Papieren, ohne deren Lage zu verändern. Ihr Blick fiel auf zwei Bücher, aus denen Zeitungsausschnitte herausragten. Sie schlug die Bücher auf.
Der Lichtkegel fiel auf einen handgeschriebenen Brief und zwei alte Artikel aus der »Times«. Michaela setzte sich und fing an zu lesen. Ihre Hand umklammerte den Lampenständer, bis die Knöchel weiß hervortraten. Sie nahm den Brief und die Zeitungsausschnitte und ging zum Fotokopierer.
Als sie fertig war, kehrte sie zum Schreibtisch zurück, steckte die Ausschnitte und den Brief wieder in die Bücher und hinterließ alles so, wie sie es vorgefunden hatte. Sie knipste die Lampe aus und ging hinaus, die Fotokopien fest in der Hand.
19 War es möglich, dass Vanko ihm nur diesen einen Zettel mit Notizen hinterlassen hatte? Einer wie er, der immer an alles dachte? Théo zerschnitt das Klebeband, das die letzten drei Schachteln verschloss, öffnete sie und fing an, sie auszuräumen.
Er setzte sich auf den Fußboden und betrachtete die auf dem Teppich verstreuten Gegenstände. Alben mit Fotos aus ihrer Kinderzeit, Fotos von Kos, Ordner mit persönlichen Dokumenten, Packen alter Briefe, mit violetten Seidenbändern verschnürt – er hasste die Farbe, aber im Vatikan schien sie ein hochmodisches Attribut zu sein –, eine alte Leica, Vankos
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