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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Promotionsurkunde …
    Die Pendeluhr schlug zweimal. Nichts. Sein Blick fiel auf einen Stapel DVD s. Er nahm eine: Antarctic Pioneers , und überflog die anderen Titel. Dokumentarfilme über Polarexpeditionen, eine Leidenschaft von Vanko. Er öffnete die Hüllen eine nach der anderen, ohne zu wissen, warum. Eine trug keine Aufschrift. Als er sie aufklappte, steckte ein kleines Notizbuch darin.
    Es war eines dieser Büchlein, die man früher in der Grundschule benutzte, mit schwarzem Einband und roten Ecken. Die karierten Seiten waren von oben bis unten mit Vankos winziger Handschrift gefüllt.

    Bei meiner Suche nach Gott habe ich mir die Fragen gestellt, die der Mensch sich seit jeher stellt. Während der Jahre im Seminar habe ich die Antworten in der Bibel gesucht. Als ich keine fand, habe ich jahrelang in den Archiven der Kirche und in den Schriften der Gelehrten weitergesucht. Etwas weiß ich heute gewiss: Wenn es einen Schöpfer gibt, ist Er nicht der Gott der Bibel. In der Genesis heißt es, Gott habe am Anfang den Menschen geschaffen, aber die Archäologie, die Philologie und die Geschichtswissenschaft beweisen, dass das Gegenteil wahr ist: Der Mensch schuf Gott, und das geschah nicht am siebten Schöpfungstag, sondern im siebten Jahrhundert vor Christus. Dieser Mensch hat einen Namen: Er heißt Josia und war der König von Juda im Zweiten Buch der Könige.

    Théo überflog die Seiten. Vanko war mit einer ähnlichen Fragestellung wie derjenigen Finkelsteins und Silbermans, doch durch das Studium von philologischen, religionsgeschichtlichen und bibelarchäologischen Forschungsarbeiten zu derselben Schlussfolgerung gekommen: Am Ursprung der Bibel stand eine strategische List von König Josia und Hilkija, dem Hohepriester im Tempel.

    Was das Leben im Jenseits betrifft, denke ich an die Sommernachmittage zurück, an denen Théo und ich auf Großvaters Tenne unter den Heuhaufen mit Seifenblasen spielten. Das war das einzige Paradies, das ich kennengelernt habe und je kennen werde. Und was die Hölle betrifft, so habe ich gelernt, dass es nur eine gibt: die der versäumten Gelegenheiten und der Dinge, die man nicht getan hat. Die »unmöglichen Träume« zu unterdrücken bedeutet, den in jedem von uns verborgenen Gott zu unterdrücken.

    Théo öffnete das Fotoalbum mit der Aufschrift »Asfendiou, Sommer 1966« und blätterte darin. Unter einer blendenden Sonne klingelten die Glöckchen der Herden, dazwischen das Kreischen der Elstern und Zirpen der Grillen. Durch die Weinberge voll schwerer, dunkler Trauben wehte der Duft des Geißblatts und des Pinienharzes. Am Abend erklang die Musik der Bouzouki auf den Tennen, und Girlanden aus bunten Glühbirnen leuchteten freundlich durch das Dunkel an den Hängen des Berges Dikaios. Er streckte die Hand nach dem Delamain Réserve aus und füllte lächelnd sein Glas.

    Die Tarotkarten warfen lange Schatten auf eine surrealistische Piazza, Sator-Quadrate hingen von einem dürren Ast, eine Gestalt ohne Gesicht stieg eine steile Treppe hinauf, die jäh über einem tiefen Abgrund endete … Aus einer Schlucht tauchte die Karte mit der 13 auf, La Mort , und quer über das Bild stand geschrieben: »Pico della Mirandola starb mit einunddreißig, er wurde vergiftet …«
    Raisa setzte sich im Bett auf und fuhr sich über die schweißbedeckte Stirn. Sie knipste die Lampe an und sah auf die Uhr: 03:40 Uhr.
    Sie zog einen seidenen Morgenrock an und ging in ihr Arbeitszimmer an das Bücherregal, um einige Bände herauszuholen.
    Mit einem Seufzer klappte sie das letzte Buch zu. Nichts. Pico della Mirandola war am 17. November 1494 in Florenz im Kloster San Marco, einem Dominikanerkloster, im Alter von einunddreißig Jahren gestorben und in der nahen Kirche San Marco beigesetzt worden. Seine Biografen schrieben, dass sein plötzlicher Tod in so jungen Jahren damals viel Argwohn geweckt habe.
    Pico hatte sich in ein Kloster zurückgezogen, ohne die Gelübde abzulegen. Es hieß, er habe eine spirituelle Krise gehabt. War das plausibel? Pico war nicht der Mensch, der sich in ein Kloster zurückzog. Er war nicht nur adelig und reich, viele Porträts zeigten ihn auch als schönen Mann. Manche Biografen sprachen von Homosexualität, doch darauf gab es nur indirekte Hinweise. Pico verkehrte in dem neoplatonischen Kreis um die Medici unter Führung von Marsilio Ficino, dem auch Agnolo Ambrogini und Girolamo Benivieni angehörten. Diese Männer waren alle homosexuell gewesen. Daraus hatten

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