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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Zwischen den Pranken der Sphinx kniend, wandte Nepher den Blick zum Hügel. Der Gott erscheint … Er berührt mich … Sein Licht spricht zu mir .
    »Oh, Aton, Beginn des Lebens!« Nepher warf sich zu Boden, die Hände vor sich ausgestreckt. »Als du am Horizont erschienst …«
    Im Schatten der Sphinx holte der Wagenlenker einen Lappen aus der Kutsche, die mit einem Aton aus Elektron geschmückt war, und wischte den Schweiß von den Flanken der Pferde.
    »Ranefer, hör auf damit und komm einen Happen essen«, sagte der Kommandant der Leibgarde.
    Auf einem Stein sitzend, knüpfte der Hauptmann sein ledernes, mit Bronzeschuppen bedecktes Wams auf und brach einen Brotlaib aus Korn und Feigen. Der Wagenlenker setzte sich zu ihm, wickelte eine Gänsekeule aus einem Palmblatt und biss hinein. »Kommandant, wird es noch lange dauern?«, fragte er mit vollem Mund.
    Der Kommandant zuckte die Achseln. »Wie üblich.« Er trank einen Schluck Gerstenbier aus einem Ziegenlederbeutel. »Beim Boot des Amun! Ich frage mich, was sie sich Tag für Tag zu erzählen haben, der Pharao und sein Gott!«
    Da tauchte eine rötliche Mähne hinter einem Bergkamm auf, und die schlanke Silhouette eines Löwen hob sich gegen die Sonne ab. Reglos schnupperte die Raubkatze in den Wind, dann drehte sie den Kopf zur Sphinx. Mehrmals schlug das buschige Schwanzende gegen die Flanken, und eine Pranke kratzte am Felsen. Ein Knurren ließ die mächtigen Lefzen erzittern.
    Dann sprang der Löwe elegant von Stein zu Stein bis in die Ebene hinunter, wo seine Sprünge Sandwolken aufwirbelten. Er schüttelte seine Mähne und bewegte sich langsam auf den am Boden liegenden Mann zu. Der Schwanz peitschte abwechselnd beide Flanken, unter dem sandbraunen Fell spielten die Muskeln. Als das Tier sich dem Pharao bis auf wenige Ellen genähert hatte, blieb es stehen. Sein Brüllen hallte durch die Stille. Nepher hob den Kopf und erhob sich langsam. Vom Kopf der Sphinx stieg ein Schwarm Raben flügelschwirrend und mit schrillem Geschrei in die Luft.
    »Schnell!« Der Kommandant rannte zum Streitwagen. Er griff nach dem Bogen, hängte sich den Köcher um die Schulter und zog einen Pfeil heraus. Dann lief er auf die Sphinx zu und blieb auf der Höhe eines der Beine stehen. Er hob den Bogen, legte den Pfeil an die Sehne und spannte den Bogen. Der Wagenlenker blieb ein paar Schritte hinter ihm stehen, einen Speer fest in der Hand.
    »Halt ein, Suty!«, sagte Nepher mit einer abwehrenden Handbewegung. »Halt ein, wenn du mein Freund bist.«
    »Aber Majestät! Diese Bestie wird gleich …«
    »Halt, sage ich dir! Weißt du nicht, dass mir vor Blut graut? Aton ist Vater und Mutter aller Geschöpfe, Menschen und Tiere.«
    »Majestät, was vermag dein Gott gegen diese Zähne?«
    »Seine allumfassende Liebe ist der beste Schutz.«
    Der Löwe brüllte ein zweites Mal, seine Reißzähne blitzten auf. Wieder peitschte der Schwanz hektisch die Flanken, der Löwe legte die Ohren an, krümmte den Rücken und senkte die Hinterbeine. Der Kommandant spannte den Bogen in seiner ganzen Weite, der Wagenlenker hob den Speer zum Wurf, sein Arm fuhr nach hinten.
    »Halt! Der Pharao gebietet es dir!«
    Langsam ging Nepher auf den Löwen zu und blickte dabei fest in seine gelben, mit grünen Punkten gesprenkelten Augen. Die Luft war geschwängert vom Geruch des wilden Tieres: Es war der urzeitliche Geruch des Zep Tepi, als Mensch und Tier eins waren. Nepher holte tief Atem, er berauschte sich an diesem Geruch und an den Strahlen des Gottes. Dann ersann er eine Botschaft der Liebe und vertraute sie dem Licht Atons an.
    Einige Augenblicke lang verharrte der Löwe in seiner Angriffsstellung, seine Augen lösten sich nicht von denen Nephers. Plötzlich richtete er sich wieder auf, und der Schwanz sank zu Boden. Er brummte und leckte sich die Lefzen.
    Nepher streckte beide Hände mit gespreizten Fingern vor seinem Maul aus. Der Löwe roch daran, dann rieb er sich an Nephers Körper und legte sich zu seinen Füßen nieder. Nepher kniete nieder und streichelte ihm die Mähne.
    Mit weit aufgerissenen Augen wischte sich der Kommandant den Schweiß von der Stirn. Unter den orangegelben Strahlen der Sonne rollte der Löwe über den Sand und der Pharao mit ihm.
    Ein Phönix mit aschgrauen Federn flog hoch in den Himmel hinauf. Er glitt durch die Luft, zog eine große Schleife und ließ sich auf dem Kopf der Sphinx nieder.

 
    21    Die Piazza del Duomo lag verlassen da, umhüllt von der Stille und

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