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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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ihn gewandt.
    Und dennoch sagte ihm etwas, dass keines der beiden Szenarien das richtige war. Joubert wusste schon von dem Papyrus. Jetzt war er davon überzeugt.
    Joubert kam mit einem Dossier wieder herein und setzte sich. »St. Pierre, was ich Ihnen jetzt sage, ist topsecret. Haben wir uns verstanden?«
    »Wir kennen uns seit zehn Jahren. Was steht in dem Dossier?«
    »Ghazi, dass ihn der Fluch des Pharaos hole, hat leider recht.« Joubert fixierte Théo mit seinem Dackelblick. »Dieser Papyrus befand sich tatsächlich in den Archiven des MI 6.«
    Ihm war, als dröhnte das Fortissimo des Violinkonzerts in d-Moll von Sibelius durch das Büro.
    »Befand sich? Was bedeutet das, dass er jetzt nicht mehr da ist?«
    »Wie unglaublich es Ihnen auch scheinen mag, genau so ist es.« Joubert breitete die Arme aus. »Er wurde gestohlen. Vor sechs Jahren.«
    »Und Sie erwarten, dass ich das glaube?« Théo sprang auf. »Für wen halten Sie mich, für einen Idioten?«
    »Setzen Sie sich, Sie machen mich nervös.« Joubert öffnete das Dossier und drehte es zu Théo um. »Werfen Sie selbst einen Blick drauf, dann verstehen Sie.«
    Während Théo in der Akte blätterte, erzählte Joubert, dass der Papyrus, seine Übersetzung und die gesamte Dokumentation des MI 6 spurlos verschwunden seien. Eine Untersuchungskommission war zu keinem Ergebnis gekommen. Der Verantwortliche für die Sicherheit des MI 6 war kaltgestellt worden, doch es hatte sich um eine einfache Disziplinarmaßnahme gehandelt. London hatte Scotland Yard und Interpol um Hilfe gebeten. Die Polizei hatte zwei Fährten verfolgt, die Terroristen- und die Erpresserhypothese, doch beide waren wegen Mangels an Beweisen fallen gelassen worden.
    »Zuletzt haben wir von Interpol, meine Abteilung, eine dritte Hypothese aufgestellt: die eines Sammlers.«
    Jouberts Einheit hatte vier reiche Sammler ausfindig gemacht – zwei Amerikaner, einen Engländer und einen Deutschen –, deren Profil mit dieser Art Diebstahl übereinstimmte, sowohl ihrer Persönlichkeit wegen als auch weil sie bereits in den Ankauf gestohlener Werke verwickelt gewesen waren.
    »Haben Sie etwas herausfinden können?« Théo klappte das Dossier zu, das Jouberts Version bestätigte.
    »Nichts, doch ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass es genau so gewesen sein muss. Wenn es keiner von den vieren war, war es jemand Vergleichbares.«
    »Glauben Sie, dass dieser hypothetische Sammler noch immer im Besitz des Papyrus ist?«
    »Darauf würde ich meinen Posten verwetten.«
    »Nehmen wir dagegen einmal an, es war ein Antiquitätendieb. Sie wissen so gut wie ich, dass Leute, die solche Objekte stehlen, immer ein paar Jahre vergehen lassen, bevor sie die Sachen auf den Markt bringen.«
    »Der Papyrus wurde bestimmt nicht verkauft. Auf der ganzen Welt gibt es nur ein Dutzend Antiquitätenhändler, die ein so wertvolles Stück kaufen könnten.«
    Interpol habe seine Büros und Informanten in aller Welt alarmiert. Sie wüssten sicher, dass der Papyrus in den vergangenen sechs Jahren nicht durch die Hände einer dieser Händler gegangen war und auch nicht in den großen Auktionshäusern wie Sotheby’s oder Christie’s aufgetaucht war.
    »Darum kehren wir zu meiner Hypothese zurück, der eines Sammlers«, schloss Joubert.
    Auf dem Weg zum Parkplatz dachte Théo über Jouberts vier Sammler nach. Solche Leute waren fähig, den Diebstahl eines Gemäldes oder einer Skulptur in Auftrag zu geben, um sich dann heimlich an deren Anblick zu weiden. Der manische Kult des Schönen, das war es, was diese Leute charakterisierte.
    Doch der Dieb des Papyrus war ein ganz anderes Kaliber. Erstens handelte es sich um einen Papyrus, nicht um ein Kunstwerk, zweitens um etwas, was die geopolitische Weltordnung verändern konnte, und schließlich um einen Gegenstand, der nicht etwa in einem Museum, sondern in den Archiven eines Geheimdienstes verwahrt worden war.
    Nichts anderes als der Inhalt des Papyrus ließ Rückschlüsse auf den Dieb zu. Dieser Mann war nicht von der Schönheit besessen, sondern von Machtgier, und nichts konnte ihn abschrecken. Wer mochte das sein, merde , wer?

    Miserere, miserere  …
    Das Miserere von Allegri, gesungen vom Chor der Sixtinischen Kapelle, erfüllte den Billardsaal der Villa Tevere. Ein Fresko im Deckengewölbe stellte einen muskulösen Moses dar, der die Gesetzestafeln in Händen hielt. In der Saalmitte prangte ein Billardtisch aus brasilianischem Mahagoni, auf den die Lichtkegel dreier

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