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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Lager wurde sichtbar. Sie kehrte mit einer Rolle aus grünem Stoff und einem Packen Karten zurück.
    Dann stellte sie die Lampe auf den Boden und setzte sich vor Théo hin. Sie rollte das grüne Tuch auf und mischte die Karten. Ihre Hände waren schmal, von ungewöhnlicher Zartheit und von bläulichen Adern durchzogen. Théo bemerkte einen grünblauen Schimmer an ihrem rechten Ringfinger. Es war ein Ring aus massivem Gold, der einen Türkis in Form eines Skarabäus einfasste. In den Stein war ein goldenes Bild graviert: das Auge des Horus. Ein Zeichen? Das Auge des Horus war das Weiße Brot. Zu beiden Seiten des Steins waren zwei Phönixe in den Ring ziseliert. Dieses Schmuckstück war echt, es stammte aus dem Alten Reich. Wie war es an den Finger einer clocharde gekommen?
    »Heb ab. Zweimal, ohne zu überlegen.«
    Théo gehorchte. Die Herzogin legte den Stapel wieder zusammen, dann ließ sie ihn fächerförmig über das Tuch gleiten. Es waren große, steife Karten, die Ränder vom häufigen Gebrauch abgenutzt, und die Rückseite zeigte Blumenmotive im Renaissancestil. Die rechte Hand der Herzogin bewegte sich über den Karten, ohne sie zu berühren, dann begann sie zu vibrieren und wurde wie von einer geheimnisvollen Macht zu einer Karte gelenkt. Die Herzogin hob die Karte auf und drehte sie um: das Ass der Stäbe. So deckte sie neun weitere Karten auf. Jede Karte war ein Kunstwerk: mittelalterliche Symbole, filigrane goldene und silberne Ornamente, leuchtende Farben wie aus der Gänsefeder eines mittelalterlichen Miniaturenmalers. Diese Karten waren Jahrhunderte alt. Sie erinnerten ihn an die Karten von Mantegna, die er in einem Buch von Raisa gesehen hatte.
    Die Herzogin verteilte die ersten sechs Karten in Form eines Kreuzes mit gleich langen Armen – zwei in der Mitte, eine schräg über die andere gelegt – und legte die restlichen vier rechts neben dem Kreuz in einer Reihe untereinander. Dann studierte sie die Karten. Ein Schatten überzog ihr Gesicht.
    » Desolée . Sie sind nicht gut, überhaupt nicht gut.« Dann hellte sich ihre Miene auf. »Aber sie versprechen viel, wenn man weiß, was man sucht, und bereit ist, alles zu wagen.«
    »Was sagen sie?«
    »Das Ass der Stäbe in der Mitte des keltischen Kreuzes ist der Anfang. Es bedeutet, dass du kurz davor stehst, dich in ein Abenteuer zu stürzen, etwas Wichtiges, das dein Leben verändern wird.«
    Der Kaiser, die quer über das Ass der Stäbe gelegte Karte, war eine der zweiundzwanzig Großen Arkanen. Sie versinnbildlichte die Herausforderung, die ihn erwartete.
    »Leider liegt sie verkehrt herum. Es ist etwas sehr Mächtiges, Skrupelloses, das sich versteckt hält. Es wird auf jede erdenkliche Weise versuchen, dich aufzuhalten. Mach dich auf alles gefasst.«
    Auf dem rechten Balken des Kreuzes lag der Narr. Er war der geheime Grund von Théos Suche und kam aus einer fernen Vergangenheit.
    »Der Narr ist ein Träumer, ein Idealist, ein Mystiker. Er will die Geheimnisse des Universums ergründen, kümmert sich nicht um Gefahren und ist überzeugt, dass alles möglich ist. Den Verlockungen des Irrationalen kann er nicht widerstehen.«
    »Der Grund meiner Suche ist ein anderer.«
    »Ich weiß, aber das ist nicht der wahre Grund.« Die Herzogin zeigte mit dem Finger auf den unteren Arm des Kreuzes, ein Ass der Schwerter. »Diese Karte stellt den wahren Grund dar, etwas, was kürzlich geschehen ist. Es ist der Tod.« Sie schloss die Augen, ihre Hände irrten über die Karten. »Eine Klippe in Form eines Stiefels … zwei Jungen … einer springt ins Wasser, der andere versucht ihn zurückhalten … ein schimmernder Umriss unter der Wasseroberfläche.« Sie öffnete die Augen und starrte in die Flamme der Laterne. »Jemand, den du sehr gern hattest«, sagte sie mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Trauer in der Stimme. »Er hat die Suche ausgelöst, doch der wahre, tiefere Grund ist ein anderer. Es ist der Narr, der sich seit jeher in deinem Inneren windet und versucht, ans Licht zu kommen.«
    Das Heulen einer Polizeisirene zog sich am Flussufer entlang. Théo schluckte, er brachte kein Wort heraus.
    Die Herzogin zeigte auf die Kelch-Fünf am oberen Kreuzarm. Diese Position bedeutete das Ziel der Suche und gleichzeitig das beste Ergebnis, das Théo erwarten konnte.
    »Die Kelch-Fünf symbolisiert Enttäuschung, das Scheitern deiner Hoffnungen. Es ist eine Warnung, dass du aufhören sollst.«
    Théo wurde ungeduldig. »Was weiß ein Haufen Karten schon von

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