Curia
hast. Doch diese Stadt wird von Menschen, nicht von Göttern bewohnt, und die Menschen wollen, eben weil sie Menschen sind, immer mehr. Mehr Gold, mehr Macht, mehr von allem. Vergib mir, dass ich so kühn spreche, aber die Ägypter von Achet-Aton sind nicht anders als die anderen, und ganz gewiss werden diese Stelen das Böse nicht an den Grenzen unserer Stadt aufhalten können.«
»Dennoch sehe ich um mich herum eine Welt ohne das Böse, wo der Mensch des Menschen Bruder ist. Denkst du etwa, ich lüge?«
»Nein, Hoheit, ich weiß, dass du nicht lügst, weil du ein Mann des gerechten Wortes bist. Aber du bist auch ein Pharao, in deinen Adern fließt das Blut der Götter. Du siehst die Welt mit den Augen von Atum-Ra, und du siehst Dinge, die wir gewöhnlichen Menschen nicht sehen können.«
»Man muss kein Sohn eines Gottes sein, um blind für das Böse zu sein.«
Das Böse sei dem göttlichen Geist fremd, erklärte Nepher, darum konnte es im uranfänglichen Nun, vor dem Erscheinen des Menschen, kein Böses geben. Der Kosmos werde damals wie heute von der Schweigenden Ordnung der Maat getragen, einer magischen Kraft, die den Lauf der Sterne regele, die Abfolge der Jahreszeiten und die angeborene Berufung des Menschen, nach den Prinzipien der Gerechtigkeit und Wahrheit zu leben.
Unser Geist sei unser schlimmster Feind, sagte Nepher, denn er neige von Natur aus dazu, Menschen und Dinge immer nach zwei gegensätzlichen Kriterien zu beurteilen: gut oder böse, wahr oder falsch, schön oder hässlich, hochmütig oder demütig und immer so weiter. Gegensätze aber seien der Quell allen Übels. Sie seien wie Ouroboros, die bösartige Schlange, mit dem Unterschied, dass sie sich nicht vom eigenen Schwanz her sondern unser ka verschlingen.
»Um den Fluch der Gegensätze zu überwinden, genügt es zu wissen, dass sie Gegensätze innerhalb einer Ganzheit sind. Der Sieg liegt nicht in der Vorherrschaft eines Gegensatzes, sondern in ihrem harmonischen Miteinander.«
»Wie bringt man dann die Stimme des Bösen zum Schweigen?«
»Hör auf zu urteilen, und du wirst die Stimme Maats vernehmen. Sie ist die Stimme des Guten im anderen, die Stimme der Schweigenden Ordnung, der Allumfassenden Harmonie.«
Thutmosis kratzte sich mit dem Stemmeisen am Kinn. »Hoheit, du hast mir den Grund für diese Stelen noch nicht erklärt. Warum sollte Achet-Aton ein Ort ohne das Böse sein können?«
Nepher zeigte auf die Sonne. »Wegen des Lichts. Das Licht von Achet-Aton ist ein magisches Licht, das ich dir nicht beschreiben kann. Es gibt besondere Stätten auf der Welt, wo die Kraft der Maat stärker vibriert als an anderen Orten. Dieses Tal ist eine solche Stätte.«
»Hoheit, ich sehe keinen Unterschied zwischen dem Licht von Achet-Aton und dem von Theben oder Memphis oder dem Licht im Lande Kusch.«
»Das Licht in diesem Tal birgt das Geheimnis der Heiligen Mysterien aus dem Buche Thoths. Es ist ein Geheimnis der Initiierten.«
»Wenn es dir aber nicht erlaubt ist, das Geheimnis zu enthüllen, Hoheit, wie willst du die Menschen dann ändern? Das Volk ist an Götterstatuen gewöhnt. Eine Sonnenscheibe ohne menschliche Züge sagt ihnen gar nichts.«
»Ich werde Aton-Tempel in jedem Winkel der Zwei Länder erbauen und das Volk lehren, auf den Atem von Aton-Ra zu hören.«
Thutmosis betrachtete die Stele. »Hoheit, ich muss an das denken, was du über die Gegensätze gesagt hast.« Er verzog das Gesicht. »Hast du mich darum gebeten, dich auf diese Weise darzustellen? Halb Mann und halb Frau?«
Nepher lächelte. »Warum, stört dich das?«
»Wenn ich es gewagt hätte, deinen Vater auf diese Weise abzubilden, ohne Penis, mit den Hüften und Schenkeln einer Frau und den Wangenknochen der Syrerinnen, die in den Freudenhäusern von Theben arbeiten, hätte er mich vor der Stadt auf einen Pfahl spießen lassen. Dennoch hat Nofretete dir schon drei Töchter geboren, und nach dem, was man von den Lästerzungen im Königlichen Palast hört, beklagen sich weder Kiya noch eine andere deiner Nebenfrauen.«
»Aton-Ra war ein selbst erzeugter Gott. Ebenso wie er bin ich gleichzeitig Vater und Mutter meines Volkes. Die Statuen der Pharaonen drücken nur die männliche Seite aus: praktischen Sinn, Härte, Aggressivität. Mit meinem Bild möchte ich auch die weibliche Seite ausdrücken: die Sensibilität, die Intuitionsgabe, die Mystik. Ich bin die Einheit, die Überwindung der Gegensätze, der Pharao aller Ägypter, Männer wie Frauen.«
»Erlaube
Weitere Kostenlose Bücher