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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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denn? Die Kegel aus weißem Pulver. War es nicht denkbar, dass die Ägypter eine andere Wahrheit als die der Bibel gefunden hatten, eine Wahrheit, die Israel und Rom immer zu verbergen versucht hatten, eine Wahrheit, die in den Flammen der Bibliothek von Alexandria verschwunden war?
    Das Telefonat mit Raisa fiel ihm ein. Sie hatte ihm von Mayos Reise durch einen Zeitkorridor erzählt. Mayo, ein Atheist, hatte gesagt, er habe sich dort oben nicht allein gefühlt, er habe etwas empfunden, das er mit dem Funken zwischen dem Finger Gottes und dem Adams auf dem Fresko in der Sixtinischen Kapelle verglich.
    Zufälliges Ereignis oder intelligenter Plan? Vor fünfzehn Milliarden Jahren war ein Punkt von unendlicher Dichte, Temperatur und Härte explodiert, um eine ungeheure Menge Energie freizusetzen und viele tausend Milliarden Galaxien zu schaffen, die sich noch immer ausdehnten. Er hatte irgendwo gelesen, dass auch die Gleichungen der Relativität bewiesen, dass die Raumzeit einen Anfang gehabt hatte. Damit war die Theorie des Urknalls bestätigt und die vorhergehende Theorie widerlegt, der zufolge das Universum unendlich war und schon immer existiert hatte. Doch wenn jede Wirkung eine Ursache hatte, musste etwas den Urknall ausgelöst haben. Was war vor dem Anfang da gewesen?
    Der Wind pfiff, das Zelt bebte, und die Lampe erlosch. Théo blieb reglos im Dunkeln liegen.
    Die Physiker sagten, dass diese Frage, so gestellt, nach Einsteins Gleichungen jeden Sinn verloren habe. Wenn die Zeit erst mit dem Urknall entstanden war, konnte es kein »Vorher« gegeben haben, darum konnte die Ursache des Urknalls sich nicht innerhalb unseres Universums befinden, sondern musste außerhalb von ihm, in einer Dimension liegen, die den Gesetzen der Physik unbekannt war. Was war die Ursache gewesen? Wo verbarg sie sich? In einer der Parallelwelten der Quantenphysik? Oder in uns?
    Im Grunde war schon unsere Existenz an sich eine Provokation für jede Evolutionstheorie. Denn die Entstehung des Lebens hatte ein derartig komplexes Zusammenspiel günstiger Umstände erfordert, dass die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Ereignisses auf einen unendlich kleinen Wert zusammenschrumpfte – etwas wie eins geteilt durch zehn hoch fünfzehn, hatte jemand errechnet. Mehr oder weniger widerwillig hatten die Wissenschaftler zugeben müssen, dass der Urknall das Ergebnis eines intelligenten Plans war, das Werk eines Schöpfers außerhalb unseres Raum-Zeit-Kontinuums. Wer? Was? Auf diese Frage hin waren die Wissenschaftler verstummt, und die Theologen waren auf den Plan getreten.
    Er hieb sich aufs Knie. Sollten die Theologen doch reden! Eines stand fest: Auch wenn die Wissenschaft nicht in der Lage war, den Augenblick vor dem Urknall zu erklären, hatte dieser Schöpfer nichts mit dem Jahwe der Bibel zu tun. Michelangelo hatte seinen Gott mit den Augen eines Menschen aus dem 16. Jahrhundert gesehen, einer Zeit, in der die Kirche die Menschen zwang, sich die Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems vorzustellen.
    Der Artikel eines Professors für Psychiatrie an der Harvard Medical School fiel ihm ein. In einem imaginären Dialog hatte der Psychiater Freuds Ansichten mit denen des christlichen Schriftstellers C. S. Lewis konfrontiert.
    Gab es außerhalb des Universums einen intelligenten und mitleidigen Schöpfer? Nein, sagte Freud, das sei nur der Glaube primitiver Gesellschaften und die Projektion unserer atavistischen Ängste, die uns verführten, darauf zu vertrauen, ein ursprünglicher Vater wache über uns und beschütze uns vor den dunklen Mächten, die unser Leben bedrohten. Doch, behauptete Lewis und beschrieb einen gütigen Gott wie den in der Sixtinischen Kapelle. Gab es einen Sinn des Lebens und seiner Leiden? Keinen, sagte Freud. Auf jeden Fall, donnerte Lewis von der Höhe seines Katheders in Oxford. Der Mensch finde durch den Glauben an Gott einen Sinn im Leiden. Eine sentimentale Vorstellung, erwiderte Freud aus einem Arbeitszimmer in der Berggasse. Und so ging der Schlagabtausch endlos weiter.
    Plötzlich sah Théo sich als alten Mann, allein, sterbend in einem Krankenhausbett, den Mund aufgerissen zu Munchs Schrei. Er seufzte. War er etwa bis hierhergefahren, um eine Antwort auf die ewige, nutzlose Frage »Gibt es Gott?« zu finden? Er tastete nach der Lampe und zündete sie mit zitternden Händen wieder an.
    Dann zog er die Jaeger aus dem Koffer und nahm den Bogen. Das Allegro maestoso von Paganinis Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur

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