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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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möglich? Wenn es nach diesem Bulletin ginge, hätte er höchstens sechzig Stimmen bekommen können. Wie hat er es geschafft, sich gleich am ersten Tag zum Papst wählen zu lassen?«
    »Es ist beim dritten Wahlgang passiert, dem ersten am Nachmittag.«
    Beim zweiten morgendlichen Wahlgang hatte Ottolenghi fünfundfünfzig Stimmen auf sich vereinen können. Die Stimmen für die anderen Kandidaten entsprachen den Prognosen, mit dem Unterschied, dass Soares dreizehn Stimmen erhalten hatte, Annibali dagegen nur noch zwei. Die Botschaft, von Pater Pinkus am Vorabend in einem der Beichtstühle der Casa Santa Marta ausgegeben, hatte begonnen, die gewünschte Wirkung zu zeitigen.
    Nach dem zweiten Wahlgang waren die Kardinäle zum Mittagessen in die Santa Marta zurückgekehrt. Dort hatte sich etwas ereignet, was einen Stimmungswechsel hervorrief und Ottolenghis Kandidatur neuen Auftrieb verlieh.
    »Pius XIII. haben wir dem Sekretär des polnischen Papstes zu verdanken.«
    Die Kardinäle hatten bei ihrer Rückkehr auf ihren Zimmern einen versiegelten Umschlag vorgefunden, gut sichtbar auf dem Bett platziert. Keiner wusste, wer die Briefe dorthin gebracht hatte und wie der Bote es geschafft hatte, die Wachen zu umgehen. Die von den Schwestern der Barmherzigkeit hinterbrachten Gerüchte besagten, dass die Umschläge einen Brief des ehemaligen Papstsekretärs nebst einer Anlage enthielten: eine Fotokopie der beiden fehlenden Seiten des Tagebuchs und die Bestätigung, dass sie mit dem Original übereinstimmten.
    »Eine Stunde später war der Jesuit Papst«, sagte Pater Pinkus, »gewählt mit 101 von 117 Stimmen.«
    »Das hat der Kater also im Büro des ehemaligen Papstsekretärs gemacht. Wer der Sekretär von Pius XIII. sein wird, steht natürlich bereits fest, oder?«
    Der Monsignore sah das Bild des sterbenden Papstes vor sich und Ottolenghis Hand, die auf der Schulter des Sekretärs ruhte. Der Inquisitor hatte gezeigt, dass ihm in Sachen Bündnispolitik und do ut des keiner das Wasser reichen konnte, das musste man anerkennen.
    »Und jetzt, Monsignore? Was wird aus dem Opus Dei – mit einem Ottolenghi als Papst? Was wird aus uns, mein Gott?«
    »Ein Vatikan ohne Opus Dei? Ohne uns würde der Vatikan, statt höchstens ein Prozent Gläubige pro Jahr zu verlieren, an Siechtum sterben, vor allem mit einem Ottolenghi als Papst. Nein, der Inquisitor wird nur mit mir abrechnen.«
    Der erste Schritt Ottolenghis würde sein, einen neuen Generalprälaten zu ernennen und ihn, Guzman, mit einem Fußtritt in eine verschlafene Diözese in der Dritten Welt zu schicken. Keine Gulfstream mehr, keine Stilmöbel, keine Orchideen. Wieder ein Niemand in der namenlosen Masse sein? Jamás . Dann lieber der Tod.
    Die Gier nach Herrschaft war so alt wie die Welt. Wer wollte die Macht nicht? Alle wollten sie: der Staat, die Kirche, die Geschäftswelt, Männer, Frauen, die Weißen, die Schwarzen … Warum sollte Opus Dei anders sein? Unterschied sich die geistliche Macht etwa von der weltlichen? Wer die Macht hatte, entschied über das Schicksal anderer Menschen, und für die Macht war der Mensch zu allem bereit. Wegen des Geldes? Unsinn. Für die anderen vielleicht ein Grund, aber nicht für ihn. Es war die Macht um ihrer selbst willen, die er wollte: die alles durchdringende, absolute Macht. Die Macht war wie der Duft seiner Orchideen. Was tun? Der Silberfuchs fiel ihm ein.
    »Monsignore, der wird auch mit mir abrechnen.«
    »Beruhigen Sie sich. Der Inquisitor wird es nicht wagen, Sie anzurühren, denn wenn er es tut, wird sein Pontifikat kürzer sein als das von Papst Luciani.«
    »Haben Sie womöglich das Grab entdeckt, Monsignore?«, flüsterte Pater Pinkus.
    »Es ist nur noch eine Frage von Tagen.«
    »Aber wie werden Sie den Saudi los?«
    »Lassen Sie das mal meine Sorge sein.«
    Die Sonne war untergegangen, und im Lager der Beni Sakhr stiegen die Flammen der Lagerfeuer auf. Der Monsignore kletterte den Dünenhang hinunter, seine Beine versanken im Sand. Wie ein Säbelhieb fuhr seine Hand durch die Luft.

    Théo faltete die Hände im Nacken. Der Wind heulte, drang durch die Zeltnähte und brachte die Lampe zum Schaukeln.
    »Vielleicht ist eine gute Predigt genau das, was du jetzt brauchst«, hatte Kassamatis mit seinem bösen Lächeln gesagt. Warum ärgerten ihn diese Worte so sehr? Weil sein angeblicher Ehrgeiz als Archäologe gemeint war?
    Ruhm hatte ihn im Gegensatz zu seinem Vater nie interessiert. Der große Edmond, Inbegriff der Eitelkeit

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