Curia
Théo zu Kassamatis. »Wir können jetzt nicht weggehen.«
»Du hast doch nicht etwa vor, noch heute Nacht in das Grab zu steigen? Die Männer sind erschöpft.« Kassamatis sah auf die Uhr. »Außerdem wird es gleich dunkel, und die Scheinwerfer würden uns verraten.«
Wie zum Teufel konnte er in einem solchen Moment so ungerührt bleiben? Um die Arbeiter ging es ihm nicht. Er schien es nur sehr eilig zu haben, ins Lager zurückzukehren. Warum? Théo hätte die ganz Nacht mit bloßen Händen weitergraben wollen, nur um an das Grab zu kommen.
»Wir graben nur bis zur ersten Tür«, sagte Théo. »Wir müssen die Inschrift finden, verstehst du? Solange wir den Namen nicht gelesen haben, können wir nicht mit Sicherheit sagen, auf was wir hier gestoßen sind. Willst du etwa mit dieser Ungewissheit ins Lager zurückkehren?«
Kassamatis ging fort, ohne ein Wort zu sagen.
»Hoffentlich ist diese Inschrift intakt«, sagte Khalid.
Beide dachten an das Grab von Tutanchamun. Tut, im Grunde ein unbedeutender Pharao, war nur deshalb in die Geschichte eingegangen, weil sein Grab als einziges Grab im Tal der Könige nicht geplündert worden war. Théo blickte zu den Zinnen auf, die die Hochebene umgaben.
»Wer mag uns hier vorausgegangen sein?«
Khalid zuckte mit den Achseln. »Ay. Oder Horemheb.«
Während die Dämmerung sich über die Hochebene senkte, hoben die Männer eine rechteckige Grube aus, die in Richtung der Stufen verlief. Khalid zündete eine Petroleumlampe an und hängte sie an eine Wand der Grube. Je tiefer die Grube wurde, desto mehr Stufen kamen zum Vorschein, und zwischen dem Geröll tauchten die unterschiedlichsten Gegenstände auf: Bruchstücke bunten Geschirrs, Gefäßverschlüsse aus Ton, Scherben von Weinkrügen … Plötzlich stieß eine Schaufel gegen etwas Hartes. Im Schein der Lampe leuchtete der blaue Alabaster einer Schüssel in Form einer Lotusblume auf.
Nach der zwölften Stufe ertönte ein dumpfer Schlag aus der Tiefe der Grube. Ein Beduine rief mit aufgeregter Stimme nach Khalid.
»Die Stufen haben aufgehört«, sagte Khalid. »Sie haben etwas gefunden. Komm schnell, wir steigen hinunter.«
Eine Sandsteinplatte bedeckte den Grund der Grube. Sie reichte vom Auftritt der letzten Stufe bis zu einer Wand aus Geröll und Tuffstein, Théo ergriff eine Hacke und versetzte der Wand ein paar Schläge. Das Geröll bröckelte ab und gab einige rechteckige Blöcke aus Kalkstein frei. Er rieb mit der Klinge der Hacke über den schwärzlichen Mörtel, der die Blöcke zusammenhielt.
»Wollen wir sie mit den Spitzhacken einreißen?«, fragte Khalid.
Théo nickte. »Hol ein paar von den besten Männern.«
Khalid erklärte zwei Beduinen, was sie tun sollten. Die beiden stiegen aus der Grube und blieben am Rand stehen, um die Arbeit von oben zu kontrollieren.
Jeweils zwei Beduinen schlugen mit den Spitzhacken auf die Mörtelfugen, beginnend beim Querbalken. Nach und nach bröckelte der Kalkmörtel ab, dann gingen die Männer zur Seite, und die nächsten beiden traten vor, um die Mörtelbrocken herauszureißen und sie dem ersten Beduinen in der Reihe zu reichen, die sich inzwischen auf der Treppe formiert hatte.
Kaum war der letzte Block entfernt, stieg Théo durch die Öffnung, gefolgt von Khalid und Kassamatis. Das Licht der Laterne erhellte einen Raum, der durch eine steinerne Tür verschlossen wurde. Sie war ockerfarben verputzt und wurde von einem Querbalken aus Sandstein überragt. Unter den Verkrustungen aus Erde, die die Tür bedeckten, erkannte man einige Hieroglyphen.
Théo tauchte eine Bürste in einen Eimer Wasser und rieb damit über den Putz. Eine in den Mörtel geritzte Schriftrolle erschien, mit einem Blau verziert, das die Frische seines Auftrags vor dreitausend Jahren bewahrt zu haben schien. Théo strich mit den Fingern über die in das Oval geschriebenen Hieroglyphen. Während er las, bewegte er die Lippen.
»Nun?«, fragte Kassamatis hinter ihm.
»Er ist es.«
Khalid trat neben ihn und fing ebenfalls an, mit Feuereifer zu bürsten. Immer mehr Hieroglyphen tauchten auf. Nach mehreren Bürstenstrichen erschien eine zweite Schriftrolle, dann eine dritte und vierte. Sie waren untereinander aufgereiht, jede einzelne Inschrift war horizontal ausgerichtet. Théo bückte sich, um die letzte zu entziffern. Sie war unleserlich. Er bürstete erneut. Die Schriftrolle war leer, abgesehen von den zahlreichen Furchen, die sie durchzogen. Diese Spuren waren eindeutig: Jemand hatte die
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