Curia
Heiligkeit erwartet Sie.« Der Kämmerer öffnete die Tür zum Arbeitszimmer des Papstes.
Pius XIII., bürgerlich Guiscardo Ottolenghi, erhob sich hinter seinem Schreibtisch und streckte die rechte Hand mit dem Fischerring aus. Küssen oder nicht küssen? Das weiße Gewand und das goldene Brustkreuz gewannen die Oberhand. Monsignore Guzman verbeugte sich und küsste den Ring. Der Inquisitor zeigte auf einen Stuhl.
»Sagen Sie uns doch bitte, Monsignore: Wodurch zeichnet sich Ihrer Meinung nach ein wahrer Christ aus?«
»Ein Christ?« Die Mundwinkel des Monsignore verzogen sich skeptisch. »Schwer zu sagen. Ich bin noch keinem begegnet.«
»Zu den Gaben eines wahren Christen gehört eine, die wir in höchstem Maße schätzen, und das ist die Demut«, sagte der Papst, die Ellenbogen auf die Armlehnen gestützt und die Fingerspitzen aneinandergelegt. »In der Bergpredigt hat der Herr gesagt: ›Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich.‹«
»Dann ist eines gewiss. Das Himmelreich wird niemals unter Überbevölkerung leiden, abgesehen natürlich von den reservierten Plätzen für jene, die den Pluralis Majestatis benutzen.«
»Impertinent, ungehorsam, stolz, eitel und größenwahnsinnig«, deklamierte der Papst und hieb bei jedem Wort mit einer silbernen Büste des heiligen Augustinus auf den Schreibtisch. »Doch nichts geht über Ihre Arroganz!«
»Mit allem einverstanden. Arrogant? Das auch. Als ich seinerzeit zwischen aufrichtiger Arroganz und heuchlerischer Demut wählen musste, entschied ich mich für Ersteres. Wenn ich auch noch demütig wäre, sagte ich mir, wäre ich vollkommen, und das würde unserem Herrn nicht gefallen.« Der Monsignore lachte zufrieden.
»Sie benötigen eine ordentliche Dosis Demut, und wir haben die geeignete Kur gefunden. Die Favelas.«
Auf sein Ersuchen hin habe die Bischofskongregation eine neue Diözese in Belém an der Mündung des Amazonas eingerichtet und achtzehn Favelas ihrer Verwaltung unterstellt. Zum Bischof der Diözese habe die Kongregation einen ehemaligen Trappistenpater ernannt, der für seine unerbittliche Moral bekannt war, und Monsignore Guzman würde sein Auxiliarbischof sein. Pater Pinkus war von der Kongregation für den Klerus zum stellvertretenden Kurat der Pfarrei Santo Cristo im mexikanischen Burgos ernannt worden, der ärmsten Gemeinde des Bundesstaates Chihuahua. Der Papst schob zwei Ernennungsschreiben über den Tisch.
»Was Ihre Nachfolge betrifft, so wird der Generalrat des Opus Dei heute um 15:00 Uhr Monsignore Felipe Cardoza zum neuen Generalprälaten ernennen. Und jetzt werden Sie uns entschuldigen, Monsignore, aber die Zeit ist ein Tyrann.«
Der Monsignore nahm die beiden Briefe, zerriss sie sorgfältig und ließ die Schnipsel auf den Schreibtisch regnen. Mit hochrotem Gesicht sprang der Papst auf.
»Hinsetzen, Eure Heiligkeit.«
Der Monsignore nahm einige Papiere aus seiner Aktentasche, beugte sich über den Schreibtisch und warf sie dem Papst hin. Der drückte, ohne sie eines Blickes zu würdigen, einen Knopf. In der Tür erschien der Kämmerer.
»Monsignore, die Audienz ist beendet. Begleiten Sie Monsignore Guzman zum Ausgang.«
»Tun Sie das, und noch heute werden 102 Zeitungen in 48 Ländern wissen, warum ich in Saudi-Arabien war und was ich dort gefunden habe.« Guzman erhob sich. »Nun?«
Das dröhnende Geläut der Glocken von St. Peter erfüllte das Arbeitszimmer.
»Gehen Sie«, sagte der Papst zum Kämmerer.
»Eine weise Entscheidung.« Monsignore Guzman setzte sich.
Die Lippen zu einem Strich zusammengepresst, musterte der Papst den Monsignore von Kopf bis Fuß, setzte sich wieder und griff nach den Papieren. Das Rascheln der Blätter begleitete seine Lektüre.
»Wo ist das Original des Papyrus? Wer sagt, dass er existiert und dass er echt ist?«
»Ich sage es Ihnen, und das genügt.« Der Monsignore erzählte von der Entdeckung des Grabes. »Falls nötig, werden eine Kommission von Ägyptologen und die Radiokohlenstoffdatierung bestätigen, dass der Papyrus aus dem 14. Jahrhundert stammt. Wollen Sie so weit gehen? Ich bin mir sicher, das wollen Sie nicht. Die Experten würden zu viel reden.« Er schlug die Beine übereinander. »Sie wollen nicht wie die Philister enden und ich nicht wie Samson.«
»Sie glauben, Sie können uns Angst machen?« Ein altersweises Lächeln umspielte die Lippen des Papstes. »Nehmen wir einmal an, diese Geschichte landet in den Zeitungen. Sie meinen wirklich, die
Weitere Kostenlose Bücher