Curia
an die Brücken von Einstein und Rosen, die ›Zeitkorridore‹. Heute sind viele Physiker überzeugt, dass die vielen Welten des Everett’schen Multiversums nicht getrennt, sondern durch Zeitkorridore miteinander verbunden sind. Da die lineare Zeit in Einsteins Raum-Zeit-Kontinuum nicht existiert, bestehen die Universen des ›Gestern‹ und des ›Morgen‹ neben denen des Heute. Ist dir klar, was das bedeutet?«
»Natürlich. Wenn ich wieder in Paris bin, rufe ich mein Reisebüro an und buche eine Reise ins alte Rom, um endlich mal einen Pastis mit Julius Cäsar zu trinken.« Théo goss sich noch eine Tasse Kaffee ein. »Dann ist ja schlechterdings alles möglich. Wenn es nach den Physikern geht, genügt es, eine Sache zu denken, damit sie in einer der Science-Fiction-Welten von Everett Wirklichkeit wird. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind ein und dasselbe. Wie das gehen soll?« Er schnippte mit den Fingern. »Ein kleiner Quantensprung im Hyperraum.«
»Dafür braucht man keinen Zeitkorridor. Deine Freundin Raisa beschäftigt sich mit hypnotischer Regression, nicht wahr?«
»Warum fragst du?«
»Wahrscheinlich hat sie dir von Telepathie, Hellseherei, Vorahnungen und dergleichen erzählt. All das, was die Psychiater ›alterierte Bewusstseinszustände‹ nennen.«
»Erzähl mir jetzt nicht auch noch, dass du an paranormale Phänomene glaubst! Ausgerechnet du.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie hoch das Budget ist, das wir und die Regierung der USA jedes Jahr im Rahmen des Falcon-Projekts für das Studium von Phänomenen außersinnlicher Wahrnehmung bereitstellen. Warum wir das tun? Denk zum Beispiel mal an die Anwendungsmöglichkeiten für Industriespionage.«
»Was hat außersinnliche Wahrnehmung mit der Quantenphysik zu tun? Und mit Fitzwilliam?«
»Außersinnliche Wahrnehmung ist der Beweis, dass wir vom Multiversum umgeben sind, dass es nur einen Quantensprung entfernt liegt. Es handelt sich durchaus nicht um ›alterierte Bewusstseinszustände‹ – es sind einfach alternative Zustände. Unter uns gibt es Menschen, die die Fähigkeit besitzen, die vierte Dimension zu sehen. Schizophrene sind die Gesundesten von allen.«
»Wie erklärt sich das? Wissenschaftlich, meine ich.«
»Wenn man mit den Leuten in Brookhaven spricht, glaubt man, das Orakel des Apoll zu hören. Alles begann Mitte der Sechzigerjahre mit neurobiologischen Forschungen über die Funktionsweise des Gehirns.«
Die Sinneswahrnehmungen des menschlichen Bewusstseins seien nichts anderes als die Aktivitäten mehrerer Trillionen Neuronen in der Hirnrinde, durch die elektrische Impulse gingen, erläuterte Kassamatis. Die erste wichtige Entdeckung in Brookhaven war, dass die Impulse im Gehirn als Energiepakete weitergegeben werden, genau wie die subatomaren Teilchen.
»Das Gehirn verarbeitet die Realität nämlich päckchenweise, eines nach dem anderen, um uns dann einen vollständigen Sinneseindruck zu vermitteln. Also war die erste Schlussfolgerung, dass das Hirn ein perfektes Quantensystem ist.«
In einer zweiten Phase sei man der Frage nachgegangen, was die Wellenfunktion der Photonen in einen definierten Zustand »zusammenbrechen« lässt, wodurch wir die Welt in einer bestimmten Weise wahrnehmen und alle anderen möglichen Weisen ausgeschlossen sind.
»Die Antwort war die Interaktion zweier Quantensysteme«, sagte Kassamatis. »Das erste System ist das Licht mit seinen Photonen.«
»Und das zweite?«
»Der menschliche Geist.« Kassamatis hob einen Finger. »Der Beobachter beeinflusst die beobachtete Realität, genau wie Bohr gesagt hatte. Da war sie, die Variable, die außer Bohr niemand berücksichtigt hatte: das Gehirn des Beobachters.«
»Aber das ist doch alles kompletter Blödsinn! Laut Bohr sieht man die Dinge in dieser Welt nicht, weil sie existieren, sondern dank einer Interaktion zwischen dem Licht und unserem Gehirn. Das hieße ja, dass ohne das Licht gar nichts existiert, uns eingeschlossen, und dass ohne uns das Licht nicht existiert. Wie interagiert das Gehirn denn mit den Lichtphotonen? Was benutzt es dafür?«
»Das hat ein anderer berühmter Physiker erklärt, David Bohm. Bei Experimenten mit den Plasmen von erhitzten Gasen mit einer sehr hohen Elektronendichte entdeckte er eine dritte Variable: eine unbekannte Kraft.«
Bohm gab bei seinen Forschungen im Berkeley Radiation Laboratory Plasma in zwei unterschiedliche Behälter und stellte sie getrennt voneinander auf. Dann reizte er die Elektronen
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