Curia
Realität existiere aber als solche, unabhängig vom Betrachter, und er, Einstein, würde keinen »Zusammenbruch« der Schrödinger’-schen Gleichung dulden, die sich übrigens bester Gesundheit erfreue.
Bohr entgegnete, er habe gar kein Interesse daran, die Wahrheit zu entdecken, denn es würde sowieso niemand jemals seine Nase in ein Atom stecken können. Es gehe ihm nur um eine Interpretation, die erklärte, wie sich die Dinge in der Welt der Quanten verhalten. Und die Erklärung könne nur eine einzige sein, sagte Bohr: Während die Realität in Newtons Welt unabhängig vom Betrachter existiert, hängt sie in der der Quanten vom Betrachter ab und davon, wohin er seinen Blick richtet.
»Bohrs Welt erinnert mich an die Insel von Peter Pan.«
»Ist es denn wirklich so schwierig? Nach Bohr bewirkt allein das Beobachten von etwas das sogenannte Zusammenbrechen der Schrödinger’schen Funktion in einen definierten Zustand. Einfacher gesagt: in das, was wir sehen und berühren können, womit alle anderen möglichen Quantenzustände ausgeschlossen sind.«
»Ich verstehe immer noch nichts.«
»Weil du ein halsstarriger Ignorant bist! Kehren wir zum Elektron zurück. Allein die Tatsache, dass wir das Experiment beobachten, bewirkt die Verwandlung einer Wahrscheinlichkeitswolke in ein Teilchen, was dann dazu führt, dass wir nur einen Durchgang des Elektrons sehen, während in Wirklichkeit zwei stattfinden.«
»Und der zweite, den wir nicht sehen? Wie beweist man den? Zieht man ihn aus einem Zylinderhut?«
»Mit den Parallelwelten, von denen wir ausgegangen sind. 1957 gelangte Hugh Everett, ein Quantenphysiker in Princeton, im Ausgang von Einsteins Relativitätsgleichungen zur Theorie der Parallelwelten, des ›Multiversums‹. Er behauptete, unser Universum sei beileibe nicht das Einzige, es gebe eine unendliche Vielzahl von Welten.«
Théo rieb sich den Nasenrücken. »Das ist so klar wie die Relativitätstheorie«, sagte er in provozierend ironischem Ton.
»Wie soll ich es dir noch sagen? Was die Leute ›objektive Realität‹ nennen, die Welt, die uns umgibt, das existiert nicht. Es ist nur ein virtuelles Bild, ein Hologramm, eine Sinnestäuschung!«
Wenn man die Kopenhagener Deutung auf Everetts Multiversum anwende, vervielfache sich die Welt im selben Moment, in dem das Elektron durch eines der Löcher gehe, in so viele Kopien ihrer selbst, wie es theoretische Wahlmöglichkeiten für das Elektron gebe – in diesem Fall zwei.
»In den Sechziger- und Siebzigerjahren haben die Labors für Quantenmechanik der Firmen General Electric und Bell Telephone nachgewiesen, dass Everetts Theorie alles andere als die Idee eines Verrückten ist. Ihre Experimente haben bestätigt, dass die Kopenhagener Deutung sehr gut erklärt, was in der subatomaren Welt passiert.«
»Es gibt doch wohl einen Unterschied zwischen dem Verhalten eines Elektrons unter dem Elektronenmikroskop und der Alltagsrealität.«
»Nicht für die Quantenphysik. Egal, ob es sich um ein Elektron oder das tägliche Leben handelt, wir Menschen können bei jeder denkbaren Wahlmöglichkeit immer nur eines der möglichen Ereignisse sehen. Doch die anderen geschehen auch alle, und zwar in Everetts Parallelwelten.«
Die einzige Realität, die zähle, sei das Raum-Zeit-Kontinuum, eine Überlagerung unendlich vieler verschiedener Quantenzustände. Wenn Théo und er die »Wirklichkeit« in vier Dimensionen sehen könnten, würden sie jetzt in diesem Moment sehen, wie die Welt sich unendlich oft vervielfacht, und in jeder dieser Welten würden sie Repliken von sich sehen, die etwas anderes taten als das, was sie in diesem Moment gerade taten.
»Na klar«, sagte Théo. »Statt nach Paris zu fliegen, könnte dieses Flugzeug in Riad landen, wo König Faisal uns mit einer Musikkapelle und einem Imbiss erwartet.«
»In einer von Everetts Welten wird genau diese Möglichkeit wahr! Dass sie absurd erscheint und wir sie nicht sehen können, bedeutet überhaupt nichts. Wenn du dir genau überlegst, was das Wort ›unendlich‹ bedeutet, wird in Everetts Multiversum sogar ein Schimpanse, wenn er nur lange genug auf die Tasten eines Computers haut, den Macbeth schreiben.«
»Was garantiert dir, dass das alles nicht bloß simple mathematische Gleichungen sind?«
»Alle Entdeckungen, die nach Everett gemacht wurden, beweisen das Gegenteil.«
»Und wie erklärt sich das Interesse der Bilderberg-Gruppe an so einer Sache? Wo ist die praktische Relevanz?«
»Denk mal
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