Curia
Kenton, die ehemalige Haushälterin – Emma Thompson –, in der Abenddämmerung unter dem Wetterdach an der Strandpromenade auf den Bus warten, drückte er auf Play.
Die bunten Lichter auf dem Pier gingen an und spiegelten sich in den regennassen Holzplanken. Die Leute applaudierten unter freudigen Rufen.
»Die Leute freuen sich immer, wenn am Abend die Lichter angehen«, sagte Miss Kenton.
»Ich frage mich, warum«, sagte Stevens.
»Für viele Leute scheint der Abend der beste Teil des Tages zu sein, der, auf den sie am meisten warten.«
»Wirklich?«
»Worauf warten Sie am meisten, Mr. Stevens?«
Théo füllte erneut sein Glas. Der Abend konnte der beste Teil des Tages sein, wenn es ein Morgen gab. Wenn das Morgen fehlte, blieb nur Bedauern. Weswegen? Er leerte das Glas in einem Zug. Wegen der nicht getanen, der nicht gesagten Dinge. Er drückte auf schnellen Rücklauf und ließ den Film auf dem Bild anhalten, wo die Lichter über dem Pier angingen.
Was blieb vom Tag übrig, wenn die Lichter zum letzten Mal aufleuchteten und das Dunkel Angst einflößte?
THEBEN, HAUS DER STRAHLENDEN SONNE, NEUNUNDDREISSIGSTES JAHR DER REGIERUNG AMENHOTEPS III., ERSTER MONAT DER SAATZEIT, SIEBTER TAG
Nephers eilige Schritte hallten durch den Flur der königlichen Gemächer, begleitet vom leisen Klingeln der Kette aus Blättern aus Gold und Lapislazuli, die über seinen nackten Oberkörper hüpfte.
Riesenhaft vergrößerten die Sesamöllaternen seinen Schatten auf den mit Hieroglyphen bedeckten Säulen, und ihr Geruch vermischte sich mit dem Duft, der von den Weihrauchbecken aufstieg. Aus dem nahen Tempel Amuns drang der eintönige Gesang der betenden Priester.
Zwei königliche Kämmerer verbeugten sich vor ihm, öffneten die Tür aus intarsiertem Zedernholz und schlossen sie hinter ihm.
In dem von flackernden Öllampen erhellten Raum saßen seine Mutter Tiye und seine Schwester Sitamon am Kopfende des Bettes, in dem sein Vater lag, und hielten ihm die Hand. Der königliche Leibarzt und der Hüter der Zwei Tore des Paradieses saßen zu Füßen des Bettes. Ihre starre Haltung erinnerte ihn an die beiden Kolosse, die den Grabtempel des Pharaos bewachten. Amenhoteps Gesicht war wächsern, die Augen waren geschlossen, der Atem ging keuchend. Ein Speichelfaden rann ihm aus einem Mundwinkel und benetzte den roten Stoff, mit dem die Kopfstütze aus Ebenholz gepolstert war. Einen Augenblick lang hob Nepher die Augen zu dem Fresko über dem Kopfende des Bettes. Auf einem glänzenden Streitwagen aus Elektron hielt sein Vater einen Bogen in der Hand und schoss Pfeile auf die Nubier.
Nepher blieb hinter seiner Mutter stehen und umklammerte ihre Schultern. Tiye trocknete den Schweiß auf der Stirn des Pharaos, dann drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen sagten ihm, dass der Pharao im Sterben lag.
»Nepher, dein Vater will mit dir sprechen.«
Mit halb geschlossenen Augen sah der Pharao die Königin an. »Verzeih mir, Tiye, aber ich muss euch bitten, uns allein zu lassen.«
Die große Gemahlin des Königs liebkoste das Gesicht des Pharaos, dann entfernte sie sich, gefolgt von Sitamon, dem Leibarzt und dem Amun-Priester.
»Setz dich her zu mir, mein Sohn.«
»Ja, Vater.« Nepher setzte sich auf den Rand des Bettes.
»Nepher, bevor Ra sich erhebt, wird mein ka … in das Land des Westens fliegen«, flüsterte der Pharao, als koste jedes Wort ihn große Mühe. »Du wirst allein regieren … und den Namen Amenhotep IV. annehmen.«
»Vater, die Strahlende Sonne kann nicht sterben«, sagte Nepher mit feuchten Augen. »Aton wird das nicht zulassen.«
Ein schwaches Lächeln spielte um die Lippen des Pharaos. »Den Tod des Leibes fürchte ich nicht. Die Waage der Osiris wird barmherzig sein … Ich habe immer versucht, nach der Wahrheit zu leben.«
»Vater …«
Der Pharao unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Du bist erst sechzehn Jahre alt, zu jung, um das Gewicht der Zwei Länder zu tragen. Ich zwinge dich nicht zu einer Doppelregentschaft, aber du musst mir versprechen, dass …«, ein schmerzverzerrter Ausdruck trat auf sein Gesicht, »… du in den ersten fünf Jahren deiner Regierung keine Entscheidung triffst, ohne dich zuvor mit Tiye zu beraten. Höre auch auf Ramose und Aper-El, aber nur mit einem Ohr. Wenn das Schwert Ägyptens heute über die Welt herrscht, so ist es das Verdienst deiner Mutter. Versprich es mir, im Namen Maats.«
»Ich verspreche es, Vater.«
Ein Stöhnen kam aus dem Mund des Pharaos, seine
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