Curia
Dokument auf der Welt, das die Wahrheit über den Exodus enthielt. Nun, was war daran so schwierig? Im Grunde ging es nur darum, einen Papyrus zu finden, der im Jahr 391 n. Chr. von Alexandria in Ägypten nach Athen geschickt worden war. Una nadería . Immerhin hatte der Archäologe dasselbe Problem. Er brummte. Der Gedanke tröstete ihn nicht.
Er erhob sich, ging zur Bücherwand und ließ den Zeigefinger über eine Reihe von Büchern gleiten. Bei einem historisch-geografischen Atlas hielt er an, zog ihn heraus und setzte sich wieder an den Schreibtisch.
Den Blick im Garten der Villa Tevere verloren, ließ der Monsignore den elfenbeinernen Rosenkranz über den aufgeschlagenen Atlas gleiten. Ein Mönch … Das Corpus Hermeticum … Mazedonien … Ein an Plutarch in Athen gesandter Papyrus … Die Mönche des heiligen Berges … Konnte es sein, dass dieser Berg in Griechenland lag? Er blätterte im Atlas unter »Griechenland«.
Mit einer abrupten Bewegung legte er den Rosenkranz beiseite und beugte sich über den Atlas. Sein Blick wanderte die Südküste Griechenlands Richtung Nordosten hinauf, verweilte auf der mazedonischen Ebene und umfasste schließlich die Halbinsel Chalkidiki, eine Hand mit drei Fingern, die sich ins Ägäische Meer erstreckten. Der Zeigefinger fuhr an den Umrissen der östlichsten Landzunge entlang: die Halbinsel des Berges Athos. »Agion Oros: der Berg Gottes«, lautete die Unterschrift.
Wie dumm, dass er nicht gleich daran gedacht hatte! Die Mönchsrepublik auf dem Berg Athos! Das waren die »Mönche vom heiligen Berg«.
Er stand ruckartig auf, der Kardinalsstuhl kippte um. Einige Augenblicke lang spielte er mit seinem Brustkreuz, dann ging er mit schnellen Schritten aus dem Zimmer.
Nach den Vespergebeten verließ Monsignore Guzman die Kapelle der Villa Tevere und schritt über die von Platanen gesäumte Allee, die zum Ausgang führte. Die Bügelfalten seiner Priesterhosen waren scharf wie ein Rasiermesser, die schwarzen Church’s glänzten wie ein Messkelch.
Vor dem Eingangstor blickte er sich um. Niemand zu sehen. Er zog einen blauen Kaschmirschal aus der Tasche und band ihn sich um den Hals, sodass er das Priesterkollar verdeckte. An einem Haus mit Jugendstilfassade drückte er auf die Klingel und sprach in die Gegensprechanlage. Das Schloss sprang auf. Im Eingang roch es nach Wachs. Er trat in einen Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für die letzte Etage. Ein rosafarbener Wandleuchter in Form eines Blumenkelchs beleuchtete den Spiegel. Er betrachtete sich, spannte den Kiefermuskel an.
Dies war das Gesicht eines gesunden, kräftigen, stattlichen hombre , der die Antriebe des Fleisches sämtlich spürte. Sie eigenhändig befriedigen wie die anderen Priester? Auf seinem Gesicht zeichnete sich Ekel, vermischt mit Verachtung, ab. Jamás . Masturbation war eines hombre seinen Formats nicht würdig, eines Mannes, der geboren war, um zu kommandieren und große Taten zu vollbringen. Hatte Julio César masturbiert? Claro que no . Wenn er seine Instinkte auslebte, ehrte er Gott, der nicht nur einen großen Menschenfischer aus ihm hatte machen wollen, sondern auch einen Menschenfischer mit dem Körper eines Heerführers.
Er trat auf den schwach erhellten Treppenabsatz, den Blumenfresken in dunklen Farben schmückten, und klingelte an einer Tür ohne Namensschild.
» Buenas tardes , Chiquita.«
»Hallo, Bischöfchen.«
9 Im Wohnzimmer erklang das Allegro molto moderato der Sonate Nr. 1 in G-Dur von Brahms.
Théo klappte Das kollektive Gedächtnis von Maurice Halbwachs zu und legte es auf den Bücherstapel auf seinem Nachttisch. Nach den Anmerkungen am Rand zu urteilen, hatte das Thema »kollektives Gedächtnis« im Mittelpunkt von Vankos Denken gestanden.
Halbwachs behauptete, dass wir nicht Herr über unser Gedächtnis sind, sondern dass unsere Erinnerungen von unserem gesellschaftlichen Umfeld abhängen. Freud hatte ihm recht gegeben. Menschen, die unterschiedlichen sozialen Gruppen angehören, erinnern sich auf unterschiedliche Weise an dieselben Dinge.
Er goss sich ein Glas Delamain Réserve ein. Wenn ein Körnchen historischer Wahrheit in der Bibel steckte, wo verbarg es sich dann? Weder im individuellen noch im kollektiven Gedächtnis, so Halbwachs, denn Gedächtnis und Erinnerungen sind zwei unterschiedliche Dinge. So wie Traumata und die gesellschaftliche Gruppe eines jeden die Erinnerungen in bestimmter Weise beeinflussen, indem sie Unangenehmes ins
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