Curia
Reproduktionen religiöser Handschriften aus dem Altertum. Seit Längerem arbeitete das ABMC an einer digitalen Archivierung der in den Klöstern von Athos lagernden Handschriften.
»Die Techniker des ABMC müssen ziemlich viel Zeit in den Klosterbibliotheken auf Athos zugebracht haben, um ihre Digitalaufnahmen zu machen«, sagte Guzman.
»Aber die Mönche werden den Papyrus von Theon doch gut versteckt halten, wenn sie ihn haben.«
»Natürlich, doch falls sich in einer ihrer Bibliotheken ein Geheimarchiv verbirgt, haben die Techniker des ABMC es vermutlich entdeckt.«
»Selbst wenn das so wäre, sehe ich nicht, warum sie es uns erzählen sollten.«
»Ein Mitglied im Verwaltungsrat der Claremont University ist Mitarbeiter des Opus Dei«, sagte der Monsignore.
»Ah, wunderbar.« Pater Pinkus beugte sich vor. »Soll ich ihm eine Nachricht durch das Opus Dei in Los Angeles zukommen lassen?«
»Nein. Ich werde persönlich mit ihm sprechen.«
» Sie? Nach Kalifornien ? Aber Monsignore, eine direkte Kontaktaufnahme des Generalprälaten des Opus Dei weckt doch Verdacht. Beim ABMC wird man sich fragen, warum …«
»Überlassen Sie das mir.«
Drei Tage später betrat ein hoch aufgereckter Monsignore Guzman in Priesterkleidung mit energischen Schritten das Ramada Inn von Claremont. Eine Stunde später kam er wieder heraus, winkte nach einem wartenden Taxi und bat den Fahrer, ihn ins Restaurant La Scala zu bringen.
Die Pendeluhr in Raisas Büro schlug einmal.
»Sieh mal, was ich in der Toskana gefunden habe, Chérie.« Constance blätterte in einer Monographie mit dem Titel Der Dom von Siena . »Hier, sieh dir das an.«
»Es scheint die Allegorie eines esoterischen Geheimnisses zu sein.«
Das Foto zeigte ein großes Mosaik einer Figur mit Turban und langem Mantel. Die linke Hand lag auf einer von zwei Sphinxen getragenen Steinplatte, die rechte reichte einem anderen Mann mit Turban ein aufgeschlagenes Buch, auf dessen Seiten eine lateinische Inschrift stand.
»Wer ist diese seltsame Figur?«, fragte Raisa.
»Lies die Bildunterschrift.«
Auf einer Schriftrolle am unteren Rand des Mosaiks war zu lesen: »Hermes Mercurius Trismegistus contemporaneus Moysi.«
»Hermes Trismegistus, ein Zeitgenosse Mose?« Raisa blickte Constance überrascht an. »Er sieht aus wie eine Kreuzung zwischen einem Magier und einem biblischen Propheten. Wo hast du das gefunden?«
»Im Dom von Siena.«
Es handelte sich um eine quadratische Marmorintarsie von dreieinhalb Metern Seitenlänge, die sich im Fußboden des Mittelschiffs direkt vor dem Hauptportal des Doms von Siena befand. Die Intarsie war 1488 dort eingelassen worden.
»Keiner weiß, wie eine solche Darstellung in eine Kirche kommen konnte«, sagte Constance. »Vor allem gerade in diese Kirche.«
»Was bedeutet die lateinische Inschrift auf dem Buch?« Raisa betrachtete die Fotografie genauer.
» Suscipite o licteras et leges Egiptii , Ihr erhaltet die Buchstaben und die Gesetze, Ägypter. Ein Satz, der von Thoth stammen könnte. Aber es gibt noch mehr Überraschungen, Chérie.«
Constance reichte Raisa ein Foto, das sie selbst aufgenommen hatte. Es zeigte einen in die Wand eingelassenen Stein, in den ebenfalls ein lateinischer Satz gemeißelt war.
»Dieser Stein ist an der Außenmauer des Doms angebracht, wenige Meter über dem Boden, an der linken Seite.«
»Ich kann die Inschrift nicht entziffern. Was steht dort?«
» Sator Arepo Tenet Opera Rotas . Ich nehme an, das sagt dir etwas.«
»Das magische Quadrat von Sator, das vierfache Palindrom?«
»Genau das«, sagte Constance. »Das Mosaik wurde 1488 angebracht, aber das Sator-Quadrat muss es damals schon mindestens zweihundert Jahre in dieser Wand gegeben haben.«
Im Laufe der Jahrhunderte hatte man Sator-Quadrate überall in Europa entdeckt. Constance erzählte, in Italien seien sie an zwei Dutzend Orten aufgetaucht, fast immer dort, wo es Einrichtungen der Tempelritter gegeben hatte. Die Forscher waren überzeugt, dass die Tempelritter die Sator-Formel benutzten, um eine verschlüsselte esoterische Botschaft weiterzugeben.
»Vor der Zerschlagung des Ordens war Siena ein Standort der Templer«, fuhr Constance fort. »Der Dom von Siena muss für sie eine rituelle Bedeutung bei Initiationen gehabt haben. Das würde auch das Interesse Wagners erklären.«
»Was hat Wagner damit zu tun?«
»Als er den Parsifal komponierte, ließ Wagner sich eine Zeichnung vom Inneren des Doms von Siena machen, die ihm dann
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