Curia
drei sehr außergewöhnliche Personen.«
Die drei hießen Judah Abravanel, Elia del Medigo und Flavius Mithridates. Abravanel war ein Arzt und kabbalistischer Dichter aus Lissabon, der nach Italien floh, als die Juden aus Portugal vertrieben wurden. Abravanel und Pico wurden Freunde, und die jüdische Mystik Abravanels beeinflusste Picos esoterisches Denken. Elia del Medigo, der in Padua und Florenz Philosophie lehrte, war ein in Kreta geborener jüdischer Philosoph und Anhänger des Averroismus. Von ihm lernte Pico Hebräisch und die Anfangsgründe der Kabbala. Del Medigo schrieb zwei Werke zu Ehren Picos, die leider verloren gingen. Flavius Mithridates schließlich war ein sizilianischer Jude, der Pico das Chaldäische beibrachte.
»Wovon handeln diese Bücher del Medigos?«, fragte Constance.
»Es war eine Sammlung philosophischer Gespräche zwischen ihm und Pico. Warum?«
»Kannst du dir Pico della Mirandolas seelische Verfassung vorstellen, als er 1488 nach Florenz zurückkehrte?«
»Ich glaube nicht, dass er Innozenz VIII. in seine Gebete einschloss, wenn es das ist, was du meinst.«
»Meiner Meinung nach wollte er sich rächen. Und zwar im großen Stil.«
Raisa blickte Constance erstaunt an. »Eine Rache?«
Sie dachte an das, was sie von Picos Leben wusste. Er konnte Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch und Chaldäisch. Er hatte sich unter der Anleitung eines Kabbalisten vom Schlage Abravanels in die esoterischen Geheimnisse der Kabbala vertieft und kannte die Schriften Zarathustras. Constance mochte recht haben. Pico war nicht der Typ, der aufgab.
»Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwischen der Intarsie und dem Sator-Quadrat«, sagte Raisa.
»Um das herauszufinden, müsste man das Anagramm studieren.«
»Das Sator-Quadrat studieren? Niemand hat es je ganz ergründet.«
»Pico glaubte an die Kabbala.« Constance folgte mit den Augen einem Rauchkringel. »Warum versuchen wir es nicht mit Zahlensymbolik?«
»Dafür müsste man Hebräisch können.«
»Ich könnte mich an einen Kollegen in der Sorbonne wenden.«
Raisa trommelte mit dem Stift auf ihrem Notizblock. »Kümmerst du dich darum?«
Beim Hinausgehen hielt Constance plötzlich an. »Wie vergesslich ich bin!« Sie reichte ihr ein Päckchen in Geschenkpapier. »Eine kleine Aufmerksamkeit für dich, Chérie.«
»Oh danke, Constance. Was ist es?«
»Es hat mit der platonischen Liebe zu tun.« Sie warf ihr einen anspielungsreichen Blick zu. »Ich hoffe, dein Fall liegt anders. Ciao.«
Der Maître des Le Procope führte Raisa zu ihrem Tisch.
»Einen Aperitif, Docteur?«
»Ja, danke, Jean-Marc. Einen Calvados Manhattan.«
Während sie auf das Essen wartete, öffnete Raisa das Päckchen. Eine DVD . Carrington . Warum gerade das? Constance schenkte nie, ohne zu überlegen. Bezog sich ihre Anspielung auf Théo?
Zu Hause zog sie eine Jeans und ein T -Shirt an, goss sich Ruinart Rosé in eine Champagnerflöte, schob die DVD in den Player und legte sich in einen Sessel, die Beine auf der Armlehne. Die ersten Bilder zeigten ein England aus Cottages, grünen Wiesen und Figuren à la Virginia Woolf in der Zeit zwischen den Weltkriegen.
Das Adagio von Schubert erklang. Aus dem Grün ertönte ein Schuss, gefolgt von dem Motiv von Nyman. Raisa schaltete den DVD -Player aus und schenkte sich nach. Hatte es eine wahrere Liebe als die zwischen Dora Carrington und Lytton Strachey gegeben, obwohl er sie körperlich nicht lieben konnte? Trotz ihrer heterosexuellen und seiner homosexuellen Leidenschaften waren sie ein Leben lang zusammengeblieben. Zwei Monate nach seinem Tod hatte sie sich erschossen. Seelenverwandtschaft? Was noch?
Ihr fiel kein Film oder Roman ein, der die Liebe so hinreißend in ihre zwei Bestandteile aufspaltete, die Liebe vom Hals aufwärts und die vom Hals abwärts. Kein Zweifel, welche der beiden Kräfte für Carrington und Strachey entscheidend gewesen war.
Théo. Was empfand sie wirklich für ihn? Schwärmerei? Liebe?
Aber was war Liebe? Sie trank einen Schluck Champagner. Wie ließ sich eine solche Frage beantworten? Ebenso gut konnte man fragen: »Existiert Gott?« oder »Gibt es ein Leben nach dem Tod?« Für Freud war die Liebe ein Wahn. Der große Mann aus der Berggasse hatte die Liebe auf die Couch des Psychoanalytikers gelegt, war auf Konflikte mit Vater und Mutter zurückgegangen, um die Liebe dann als narzisstische Übertragung abzufertigen. Proust war genauso radikal gewesen. In seiner Recherche hatte er die
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