Curia
Liebe zu einer chimärischen Projektion erklärt. Ganz zu schweigen von den Evolutionstheoretikern, für die Liebe nur Sex war, ein Täuschungsmanöver der Natur, das den Menschen zur banalen Reproduktionsmaschine herabwürdigt.
Sie irrten alle, Freud, Proust und die Evolutionstheoretiker. Aber wer sagte das, die Psychoanalytikerin oder die Frau?
Existierte die Liebe nicht wie der Glaube an Gott oder die Suche nach einem Lebenssinn allein, um der Einsamkeit zu entfliehen oder einem die Illusion eines Sprungs in die Ewigkeit zu geben? Wenn man von einem Mann umarmt wurde und dieser Mann der Richtige war, schien die Zeit stillzustehen, und man glaubte, ewig zu leben. Was vom Hals abwärts geschah, war nur eine Folge davon.
Warum ausgerechnet Théo? Warum nicht Delacroix, dieser Graf aus der Normandie, der ihr immer noch große Sträuße roter Rosen schickte, oder Watkins, der englische Dirigent, der sie in London zum Abendessen ins Savoy eingeladen und ihr eine Liebeserklärung gemacht hatte?
Wenn sie mit Théo zusammen war, spürte sie, dass sie ihn nicht nur um seinetwillen liebte, sondern auch weil sie sich in seiner Gegenwart veränderte. Die Liebe zu Théo war der Spiegel, in dem sie sah, wie sie sich in seiner Gegenwart fühlte und wie sie sich immer fühlen wollte. Eine idealisierende Projektion? Freuds narzisstische Übertragung? Proust chimärische Illusion? Nein. Die Projektion ihres innersten Wesens.
Wenn sie ihm in die Augen blickte, fühlte sie, dass er sie nicht liebte, weil sie schön war, sondern dass sie schön war, weil er sie liebte, und das war der entscheidende Unterschied. Théo ließ ihr transzendentales Ich zum Vorschein kommen.
Das transzendentale Ich? War die Liebe also die Suche des Menschen nach seinem göttlichen Bild, wie es in der Kabbala und der Thora hieß? »Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau … Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.« War das Liebe? Die Suche nach dem göttlichen Abbild in sich selbst, um wieder der Mensch zu werden, den Gott sich im Garten Eden zum Bilde schuf?
Genug. Sie ging auf den Balkon, den Champagner schwenkend. Die Lichter des Seine-Ufers spiegelten sich im Wasser. Die schönsten Dinge im Leben waren die, die man nicht sehen und anfassen konnte, aber in sich spürte. Die Liebe war Geheimnis, Wahn und Zauberei. Hätte man sie erklärt, wäre sie keine Liebe mehr.
Théo öffnete ein Kartenwerk der Oxford University Press. Die Überschrift lautete: »City of Akhetaten«. Sein Zeigefinger fuhr am Ostufer des Nils entlang, vorbei am Königspalast und dem Großen Tempel Atons, dann blieb er bei der Schatzkammer stehen.
Mandelaugen, ein längliches Gesicht mit fleischigen Lippen und vorspringenden Wangenknochen, ein eiförmiger Schädel, ein Modigliani-Hals und gerundete, weibliche Hüften. Mehr noch: Die Statuen zeigten ihn ohne Penis. Théos Blick wanderte zur Büste Ramses des Großen. Was hätte Ramses mit dem Bildhauer gemacht, der es gewagt hätte, ihn so darzustellen? Marfan-Syndrom, Amarna-Stil oder theologische Gründe? Ein noch nie enträtseltes Geheimnis.
Im fünften Jahr seiner Regierung nannte Amenhotep IV. sich Echnaton – Derjenige, der Aton dient –, verbannte das gesamte ägyptische Pantheon und erklärte den Sonnengott Aton zum einzigen Gott. Er verlagerte die Hauptstadt von Theben nach Achet-Aton, einen Garten Eden, der in einem abgelegenen Tal zwischen Theben und Memphis der Wüste abgetrotzt worden war. Im achten Regierungsjahr ließ er die Schätze der anderen Tempel beschlagnahmen, beginnend beim Amun-Tempel, um sie in den Großen Aton-Tempel schaffen zu lassen. Im neunten Jahr ließ er vierzehn Stelen aus den Felsen rings um Achet-Aton hauen und schwor, er werde das Land jenseits dieser Grenzen niemals mehr betreten. Auf einer der Stelen steht der Schwur noch immer zu lesen.
Im siebzehnten Regierungsjahr starb er und hinterließ ein zugrunde gerichtetes Ägypten am Rand eines Bürgerkriegs. Sein Name wurde aus den Listen der Pharaonen entfernt, seine Statuen verunstaltet und alle Spuren seiner Regentschaft auf Gräbern, Tempeln und Papyri entfernt. Ein königliches Edikt verbot, seinen Namen auszusprechen.
Wären nicht zufällig vor zwei Jahrhunderten in der Nähe des Dorfes Tell el-Amarna die Überreste von Achet-Aton gefunden worden, hätte man weiterhin und vielleicht für
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