Curia
immer nichts von Echnaton gewusst.
Keine andere Gestalt der Geschichte hatte Théo mehr fasziniert. Schon während seines Studiums war es ihm zur fixen Idee geworden, die Hintergründe dieser Geheimnisse aufzuklären und herauszufinden, wer Echnaton war. Nach der maîtrise hatte er sich drei Jahre lang für seine Doktorarbeit mit ihm beschäftigt. Er zog ein grau eingebundenes Bändchen mit vergoldeten Rändern aus einer Schublade und blätterte darin. La révolution de Tell el-Amarna . Eine Schinderei, und die Lösung lag noch immer in weiter Ferne.
Doch seine Dissertation hatte zwei Punkte geklärt. Echnaton hatte nicht aus politischen Gründen gehandelt, etwa um sich von Amun und seiner Priesterkaste zu befreien, sondern aus religiösen – im Unterschied zu Josia, als er Jahwe zum einzigen Gott erklärte, oder zu Konstantin, als er beim Konzil von Nikäa die Göttlichkeit Christi beschließen ließ. Obendrein war Aton nur ein Symbol, hinter dem sich eine Manie Echnatons verbarg: Er war besessen vom Licht. Warum gerade vom Licht?
Théo schlug die Bibel auf und las die Verse 12,35–36 des Exodus: »Die Israeliten taten, was Mose gesagt hatte. Sie erbaten von den Ägyptern Geräte aus Silber und Gold … Der Herr ließ das Volk bei den Ägyptern Gunst finden, sodass sie auf ihre Bitte eingingen. Auf diese Weise plünderten sie die Ägypter aus.«
Conneries . Konnte sich hinter diesen Worten nicht auch etwas verbergen, an das bisher niemand gedacht hatte? Ein Diebstahl von gewaltigen Ausmaßen? Er überflog Vankos Notizen. »Essener/Kupferrolle/Schatz des Großen Aton-Tempels.« Die Kupferrolle.
Welche Verbindung mochte es zwischen Echnaton und den Essenern von Qumran geben, einer asketischen Bruderschaft, die erst tausend Jahre später aufgetaucht war, überdies am Ufer des Toten Meeres? Ira Shapiro fiel ihm ein, der weltweit größte Experte für die Schriftrollen vom Toten Meer.
Er bat Clea über die Sprechanlage, Shapiro, den Direktor des Archäologischen Instituts der Universität Tel Aviv, anzurufen.
»Théo, ich habe die Sekretärin in der Leitung«, sagte Clea. »Der Professor ist bis übermorgen in London.«
»Frag sie, ob sie mir ein Treffen in London organisieren kann, egal, um welche Zeit.«
Clea rief kurze Zeit später zurück. Shapiro war mit einem Treffen einverstanden. Sie waren am nächsten Tag um 18:00 Uhr in der Lobby des Lowndes Hotel in London verabredet.
»Théo, pass auf«, sagte Clea. »Shapiro ist eine neunköpfige Schlange wie die Hydra.«
»Ich werde Herkules bitten, mir seinen Stock zu leihen.«
Am Eingang zur Lobby Lounge des Lowndes Hotel blickte Théo sich um. Shapiro winkte von einem Tischchen im Hintergrund und empfing ihn mit einem Neonlächeln. Er trug einen blauen Dreiteiler, seine Haare glänzten vor Brillantine, und aus der Jacketttasche ragte ein gelbes Seidentaschentuch. Er erinnerte Théo an einen Gangster im Chicago der Dreißigerjahre.
»Nun, Théo, was soll diese Eile?«, fragte Shapiro, nachdem sie Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht und Getränke bestellt hatten.
»Ich muss etwas über die Kupferrolle wissen.«
Ein schleppender Schritt erregte seine Aufmerksamkeit. Der Mann mit dem Gesicht einer Bulldogge und einem dunklen Armani-Anzug setzte sich zwei Tische weiter hin.
Shapiro grinste. »Erzähl mir nicht, dass sich jetzt auch der große Théo St. Pierre auf die Jagd nach dem Gold machen will.«
»Du hast die Rolle jahrelang studiert. Was hat dich am meisten beeindruckt?«
Shapiro sah Théo forschend an. »Das frage ich mich auch.« Er trank einen Schluck Johnny Walker. »Dieses verfluchte Ding hat mich um den Schlaf gebracht.«
Die Kupferrolle war die einzige in Kupfer gravierte statt auf Papyrus geschriebene Schriftrolle, was darauf schließen ließ, dass ihre Verfasser den Text für sehr wichtig hielten. Die in der Rolle beschriebenen Orte hatten kaum etwas mit der Topografie von Qumran zu tun, sondern bezogen sich auf viel ältere Ortschaften. Während alle anderen Qumran-Rollen von religiösen Dingen berichteten, war die Kupferrolle eine regelrechte Schatzkarte, eine Liste von vierundsechzig Verstecken, wo Gold und Silber mit einem Gewicht von 2 300 damaligen jüdischen Talenten lagerte, was neunundsechzig Tonnen entsprach.
»Erklär du mir, was ein Schatz mit den Essenern zu tun hat.« Shapiro hob die ausgebreiteten Arme. »Eine asketische Gemeinschaft mit Armuts- und Keuschheitsgelübde.«
Shapiro sprach von allseits bekannten Dingen.
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