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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Warum erwähnte er nicht die besondere Art der Nummerierung auf der Rolle – vertikale Striche für jede Einheit bis zur Neun und ein umgedrehtes U für jede Zehn –, das Zählsystem, das im vierzehnten Jahrhundert vor Christus, also zur Zeit Echnatons, in Ägypten gültig war?
    »Die Frage nach dem Gesamtgewicht des Schatzes ist immer noch sehr umstritten«, sagte Théo. »Kannst du dir eine solche Menge vorstellen?«
    »Ich glaube, dass die Rolle den Schatz des Ersten Tempels beschreibt, bevor Nebukadnezar II. ihn dem Erdboden gleichmachte, nicht den des Zweiten Tempels.«
    Als Beleg zitierte Shapiro aus Flavius Josephus’ Vom jüdischen Kriege und beschrieb die Basreliefs im Triumphbogen des Titus in Rom, die darstellen, wie Titus’ Soldaten die Schätze aus dem Zweiten Tempel fortbringen. Er berechnete die jährlichen Erträge des Ersten Tempels mit siebenhundert Talenten und führte zum Beweis den Vers 10,14 aus dem ersten Buch der Könige an. Dann kritzelte er ein paar Zahlen auf eine Serviette und erklärte, achtzig Jahre hätten genügt, um den auf der Rolle genannten Schatz anzuhäufen.
    »Die 2 300 Talente sind also durchaus wahrscheinlich«, schloss Shapiro.
    »Erträge von siebenhundert Talenten im Jahr zur Zeit des Ersten Tempels?«, fragte Théo. »Das Reich Juda war eine Steinwüste, wo es niemals regnete. Woher nahmen sie das Geld? Aus den Tresoren von König Salomon?«
    »Warum bist du bloß immer so verdammt voreingenommen, wenn es um die Bibel geht?«
    Mit Shapiro streiten? Nein, das wäre kontraproduktiv. In der frühen Eisenzeit hätte nur ein Land auf der Welt einen so bedeutenden Schatz anhäufen können: Ägypten, und das wussten sie alle beide.
    »Wie erklärst du dir dann«, fragte er, »dass die Kupferrolle zusammen mit den anderen Schriftrollen vom Toten Meer in einer der Höhlen von Qumran gefunden wurde? Zur Zeit des Ersten Tempels gab es die Essener noch gar nicht.«
    »Die Erklärung liegt auf der Hand: Die Kupferrolle ist kein Werk der Essener.«
    »Wer könnte sie dann geschrieben haben?«
    »Vorläufer der Essener, jemand, der die Rolle in Sicherheit brachte, bevor die Babylonier den Tempel plünderten.«
    Théo schwenkte seinen Courvoisier. War es möglich, dass die Gruppe, von der Shapiro sprach, von den aus Ägypten vertriebenen Anhängern Echnatons abstammte? Es konnte durchaus sein, dass sich ihre Nachfahren ein paar Jahrhunderte nach dem Tod des Pharaos im Land Kanaan angesiedelt und eine Gemeinschaft gegründet hatten, aus der die Essener hervorgingen.
    »Ira, ihr Israelis grabt jetzt seit vierzig Jahren nach dem Schatz, aber niemand hat je irgendetwas gefunden. Warum?«
    »Manche haben sogar in ihrem Vorgarten gegraben. Nichts. Absolut nichts, das versichere ich dir. Zur Zeit des Ersten Tempels waren viele der auf der Rolle angegebenen Orte unbekannt.«
    »Nach den Fotos zu urteilen, ist die Orthografie der Rolle ziemlich ungewöhnlich. Viele Buchstaben sind keilförmig, eher akkadisch als hebräisch. Was sagst du dazu?«
    Shapiro zuckte mit den Achseln. »Das ist dein Eindruck.«
    Shapiro log. Die Sprache der Rolle war nicht Aramäisch, sondern ein schwer verständliches Hebräisch aus der Zeit vor der Mishna, das noch kein Fachmann datieren konnte. Sprache und Orthografie ließen Einflüsse erkennen, die in Kanaan fremd waren. Wenn Echnaton und seine Anhänger aus Ägypten geflohen waren, waren sie gewiss nicht ins Land Kanaan gezogen. Seit Thutmosis III. war Kanaan eine ägyptische Provinz. Wohin konnten sie geflohen sein? In das Land Ammon? In das Land Moab? Oder in das Land Midian?
    »Dass bisher niemand etwas gefunden hat, könnte einen anderen Grund haben.« Théo hob sein Glas und tat so, als beobachte er die bernsteinfarbenen Reflexe des Cognacs im Licht einer Wandleuchte. »Der Schatz könnte sich außerhalb von Israel befinden.«
    Shapiro starrte ihn verblüfft an. »Das ist doch verrückt! Der Schreiber der Rolle war in großer Eile, wie die Grafologen bestätigen, und das bedeutet, dass ihm unmittelbar Gefahr drohte. Und kannst du dir vorstellen, was es bedeutet hätte, einen so riesigen Schatz aus Juda herauszubringen? Außerdem, wohin denn? Komm, vergiss es.«
    Théo trank einen Schluck Courvoisier. Was das Gewicht und die Ausmaße betraf, hatte Shapiro recht. Aber warum ereiferte er sich so sehr?
    »In der Inschrift tauchen griechische Buchstaben auf«, sagte er in beiläufigem Ton. »Wo?«
    Shapiro warf ihm einen nervösen Blick zu. »In den ersten

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