Curia
zurück.
»Théo …?«
Er dreht sich um. »Was ist?«
»Das mit Vanko tut mir leid. Ehrlich. Ich bin nicht das Arschloch, das ich allen vorspiele.«
Théo sah ihn an, die Hand auf dem Türgriff. Er ging zum Schreibtisch zurück und drückte ihm ohne ein Wort fest die Hand. Dann trat er hinaus.
Am Place de la Concorde steuerte Théo auf die Mitte des Platzes zu und blieb unter dem Obelisken aus rosafarbenem Granit stehen. Auf die Autos, die um ihn herumsausten, achtete er nicht. Sein Blick wanderte über die mit Hieroglyphen bedeckten Seiten nach oben und blieb an der vergoldeten Spitze hängen. Die Höhe war beeindruckend. War das Unternehmen überhaupt möglich? Und wenn Theophilos recht gehabt hätte? Ob es nun stimmte oder nicht, Konstantine konnte auch scheitern. Nein, das mit Cleopatra’s Needle war nicht genug. Was konnte er noch tun?
Ein Sonnenstrahl brach sich an der Spitze.
IUNU, TEMPEL DES RA, ERSTES JAHR DER REGENTSCHAFT AMENHOTEPS IV.
Der Lärm der Wagenräder breitete sich längs des Nils aus, und auf der Straße wirbelte eine rote Staubwolke auf.
Drei zweirädrige Streitwagen mit zwei Pferden im Gespann fuhren eilig auf die weißen Mauern des Ra-Tempels zu. Die Sonnenreflexe auf den goldenen Brustpanzern der Offiziere der königlichen Leibgarde blitzten durch die Palmen, und einen Augenblick lang sah man das Nemes-Kopftuch mit den blauen und goldgelben Streifen des jungen Pharaos.
Die Kutschen hielten vor dem Tempelportal zwischen den zwei Obelisken Thutmosis III. Nepher stieg vom Wagen herab und trocknete sich den Schweiß mit einem Zipfel des Nemes. Das Knirschen von Ketten mischte sich unter das Wiehern der Pferde, und Nepher drehte sich zum Portal um.
Knarrend schob sich ein mit Bronze verkleideter Türflügel zur Seite, und auf der Schwelle erschien die hagere Gestalt eines kleinen Mannes mit geschorenem Schädel und hervorspringenden Wangenknochen. Meryre, der Hohepriester. Er war klein und trug ein über die Schulter drapiertes Leopardenfell, das über ein langes Hüfttuch aus weißem Leinen fiel. In der Hand hielt er einen schwarzen Hirtenstab, der in ein goldenes ankh auslief, und am Finger trug er einen dicken Siegelring mit einem Oval aus Türkis.
Meryres kleine Augen fixierten ihn blitzend. Kein Wunder, dass sein Vater ihn mit dem Titel »Der Größte aller Beobachter« ausgezeichnet hatte. Nicht weil Meryre der tüchtigste Astronom von Iunu war, sondern weil sein Blick bis in das ka seines Gegenübers drang und man sich bloßgestellt fühlte wie vor dem Gericht des Osiris.
»Hoheit, sei willkommen im Tempel des Sonnengottes.« Der Priester verneigte sich. »Bist du bereit?«
»Das bin ich, Meryre.«
»Dann befreie dich von allen Gefühlen und tritt ein, im Zeichen Maats.«
Die Offiziere der Leibgarde machten Anstalten, dem Pharao ins Innere des Tempels zu folgen.
»Nein. Sie nicht.« Meryre hob den Stock. »Dies ist kein Ort für Profane.«
Nepher bat die Offiziere, draußen auf ihn zu warten, und folgte Meryre über die Schwelle. Das Portal schloss sich mit einem dumpfen Schlag hinter ihnen.
Nepher ließ seinen Blick über die Innenräume schweifen. Der Tempel war eine Stadt. Seine Ausdehnung übertraf jene des Amun-Tempels in Theben. An den Mauern folgten Dutzende von Kapellen aufeinander, getragen von vielfarbigen Säulen mit Inschriften aus den heiligen Papyri. Aus einem Tempel stieg ein leiernder Gebetsgesang auf. In der Mitte erstreckte sich der heilige See, ein rechteckiges Wasserbecken, in dem Teppiche aus Lotusblumen, umringt von Palmzweigen, schwammen. In der Mitte des Sees erhob sich über einer kegelförmigen Basis aus schwarzem Granit ein stämmiger Obelisk aus Sandsteinblöcken. Die Lichtreflexe auf der mit Elektron verkleideten Spitze schmerzten ihm in den Augen, er schirmte sie mit der Hand ab. Mitten durch den See führte ein steinerner Übergang zum Obelisken.
Er folgte Meryre auf den Übergang. Sie umkreisten den Sockel aus Granit, und der Priester richtete seinen Stock auf die Hieroglyphen an der Ostseite des Obelisken.
»Lies, Hoheit.«
Nepher folgte mit den Augen der Reihe der Hieroglyphen. »›Oh Aton, Vater und Mutter des Menschengeschlechts, als du dich aus dem Chaos der Urgewässer des Nun erhobst, warst du leuchtend wie der Benben-Stein auf der Spitze dieses Obelisken.‹«
»Nun?«
»Wie kann ein Stein leuchten? Wer hat ihn gehauen?« Nepher blickte zur Spitze hinauf. »Wo ist der Stein? Warum wurde er Benben genannt?«
»Wie, wer,
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