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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Panzerglas mit einem Stahlrahmen. »Keine andere esoterische Bibliothek auf der Welt hat eine vergleichbare Inkunabelsammlung.«
    Kaum hatte Raisa die Schwelle überschritten, fühlte sie sich beobachtet. Sie blickte auf. Eine Kamera folgte ihren Bewegungen.
    Nachdem er den Inhalt der einzelnen Regale beschrieben hatte, blieb der Direktor vor einem länglichen Schaukasten in der Saalmitte stehen. Auf der geneigten Fläche unter der Glasabdeckung lagen aufgeschlagene Bücher. Die Seiten leuchteten in den prächtigsten Farben: Miniaturen aus feinstem Blattgold, Purpurrot, Indigoblau und Gelb.
    »Dies ist eine Ausgabe der Three Books of Occult Philosophy von Cornelius Agrippa, 1651 in London beim Verlag Moule gedruckt.« Der Direktor wandte sich anderen Büchern zu.
    Raisa und Constance bahnten sich einen Weg durch die um die Vitrine gedrängten Besucherinnen. Raisas Blick fiel auf ein schmuckloses Bändchen, das neben den anderen deplatziert wirkte. Auf dem Schild am Schaukasten stand: »Anonymer Autor, ohne Titel. Ende XV. Jahrhundert. Thema: Gespräche über kabbalistische Philosophie zwischen Magister und Ioannus.«
    Sie überflog die ersten Zeilen. Der Text war auf Italienisch verfasst. Ihr Herzschlag hallte dröhnend in ihrem Kopf wider, lauter als die Stimme des Direktors.
    Wie viele Menschen interessierten sich im Italien des 16. Jahrhunderts für kabbalistische Philosophie? Eine Handvoll Adeliger und Reicher. Pico della Mirandolas Taufname war Giovanni Pico. »Ioannus« lautete der Name »Giovanni« auf Lateinisch. Wenn der Verfasser Elia del Medigo war, wies die Tatsache, dass er sich einfach als »Magister« und seinen Schüler als »Ioannus« statt als Picus oder Ioannus Picus bezeichnete, vielleicht darauf hin, dass sich in diesem Buch etwas verbarg. Eine Botschaft, verschlüsselt in einer Allegorie, unverständlich für die Inquisition?
    »Constance, sieh mal dort.« Raisa zeigte auf das Buch.
    Constance riss die Augen auf.
    Doch nachdem sie die erste Seite gelesen hatte, war Raisa enttäuscht. Abgesehen vom Italienischen, das die Lektüre erschwerte, schien auch der Text selbst unverständlich: Erschaffung des Kosmos, Natur des Göttlichen, die magische Kraft des hebräischen Alphabets … Sie las auf der rechten Seite weiter, doch der Dialog blieb abstrakt. Gerade als sie aufgeben wollte, erregte ein Satz am Ende der Seite ihre Aufmerksamkeit.

    Da geschah es, Ioannus, dass ein großer Gelehrter, welcher von der hermetischen Schule Hermes Trismegistos genannt ward, das Wort erfand und mit ihm die Gesetze. Er wandte sich an die Ägypter und sagte zu ihnen …

    Der Dialog ging auf der folgenden Seite weiter.
    »Hast du den letzten Satz gelesen?«
    Constance nickte. »Wollen wir ihn bitten, die Vitrine zu öffnen?«
    In diesem Augenblick wandte sich eine Frau mit Baritonstimme und unschuldigem Augenaufschlag an den Direktor: »Könnten Sie nicht den Deckel aufmachen und uns ein bisschen blättern lassen? Please .«
    »Na gut, aber die Bücher werden nicht herausgenommen, klar? Das Papier ist hochempfindlich.«
    Begleitet von einem vielstimmigen Thank you, schloss der Direktor die Vitrine auf und hob den Glasdeckel. Die Frauen drängten sich um die Bücher.
    »Es würde genügen, nur die eine Seite umzublättern«, flüsterte Constance. »Warum bitten wir ihn nicht darum?«
    »Der Mann gefällt mir nicht. Besser, wir fallen nicht auf.«
    »Wenn wir es nicht versuchen, werden wir nie erfahren, was dort geschrieben steht.«
    »Das ist nicht gesagt.«
    »Was meinst du damit?«
    Raisa zog Constance zur Seite und weihte sie in ihren Plan ein.
    »Bist du verrückt geworden?« Constance blickte sie entsetzt an. »Willst du im Gefängnis landen, noch dazu in einem holländischen?«
    »Ich werde es tun. Du brauchst nur auf diese Waldberta da unten aufzupassen und mich übers Handy zu warnen.«
    »Das passt nicht zu dir! Als deine Freundin, obwohl ich schon bereue, dass ich es bin, verbiete ich dir einen solchen Wahnsinn.«
    »Wenn wir es so machen, wie ich gesagt habe, ist das Risiko minimal.«
    »Entweder bist du übertrieben optimistisch oder eine große Lügnerin. In beiden Fällen rechne nicht mit mir.«
    »Vielen Dank. Thoreau hat gesagt: ›Ein Freund ist jemand, der mich so nimmt, wie ich bin.‹«
    »Ach, wirklich? Nun, Emerson hat gesagt: ›Ein Freund ist jemand, bei dem ich ehrlich sein kann.‹ Und ich sage dir in aller Ehrlichkeit, dass man dich in die Salpêtrière einliefern sollte, nicht deine

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