Curia
wo, warum … Seine Hoheit hat einen wissbegierigen Geist. Ein vielversprechender Anfang für einen Lehrling ersten Grades.« Meryre ging auf die Säulen eines Tempels zu. »Komm.«
Ein Surren wie das Vibrieren eines Pfeils, der sich in eine Holzwand bohrt, hallte durch Nephers Kopf. Das Geräusch wurde stärker. Tausend Obelisken drehten sich um ihn herum und blendeten ihn mit dem Funkeln ihrer Spitzen. Keuchend hielt er sich den Kopf, krümmte sich und sank in die Knie.
Meryre ließ den Stock fallen, kniete neben dem Pharao nieder und hielt ihn an den Armen fest. »Hoheit! Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht gut?« Mit lauter Stimme rief er einen Priester zu Hilfe.
Nepher warf sich auf den Boden, die Arme vor sich ausgestreckt. » Aton … Vater … mein Vater …«
Mit einer Handbewegung hielt Meryre den herbeigeeilten Priester zurück und legte einen Finger an die Lippen.
»Strahlend leuchtest du im Morgengrauen des Zep Tepi , als du am Anbeginn der Zeiten Himmel und Erde geschaffen hast … Wie oben, so auch unten, wie unten, so auch oben.«
Nepher erhob sich, den Kopf zwischen den Händen. »Was ist passiert? Was war das für eine Vibration? Hast du sie auch gespürt?«
Meryre schüttelte den Kopf. »Hoheit, wo hast du den Satz ›Wie oben, so auch unten‹ gehört?«
Nepher runzelte die Stirn. »Wie oben, so auch unten? Das höre ich zum ersten Mal. Was bedeutet das?«
Meryres Blick wurde nachdenklich. »Folge mir, Hoheit. Ich will dir etwas zeigen.«
Sie stiegen die Stufen zum Haus des Phönix hinauf und schritten durch ein Tor, das von zwei Phönixen aus rosafarbenem Granit flankiert wurde, über denen zwei Sonnenscheiben schwebten. Sie betraten den im Halbdunkel liegenden Saal des Tempels der Seele. Die Flämmchen der Alabasterleuchten warfen tanzende Reflexe auf die Bastaltstatuen der Pharaonen. Die Luft war von Weihrauch geschwängert und vom Klang der Sistren und Gebete erfüllt.
Sie gelangten vor eine Tür zwischen zwei Sockeln, auf denen Leuchter ein zitterndes Licht spendeten. Zwei Lesepriester mit einem um die Brust geschlungenen weißen Leinentuch hockten auf dem Boden, ein Papyrus auf den Knien. Die beiden erhoben sich und öffneten mit einer Verbeugung die Tür.
»Tritt ein, Hoheit.« Meryre folgte ihm ins Innere, einen Leuchter in der Hand, und wandte sich an die Priester. »Schließt die Tür, damit die Profanen nichts hören.«
Meryre ging auf eine Konsole zu und griff zwischen die dort liegenden Papyrusrollen. Ein Klicken. »Hoheit, halte du den Leuchter.«
Er drückte gegen eine Ecke des Regals, worauf dieses sich knarrend um sich selbst drehte und eine Türöffnung freigab. Die Flamme tanzte über die Hieroglyphen einer Inschrift.
Nepher folgte Meryre ins Innere.
13 Ein klopfendes Motorengeräusch stieg aus der Bloemgracht auf. Unter einer Brücke tauchte ein Hausboot auf und glitt zwischen den in zwei Reihen an der Kaimauer der Gracht vertäuten Booten hindurch.
Raisa und Constance blieben vor der dunklen Fassade mit weiß gerahmten, quadratischen Fenstern der Bibliotheca Philosophica Hermetica stehen und besprachen die letzten Einzelheiten ihrer Forschungsstrategie. Sie mussten sich auf die unbedeutenderen Werke des Literatenkreises um Pico della Mirandola konzentrieren. Und der Dom von Siena? Es war klüger, darüber kein Wort zu verlieren.
Das junge Mädchen an der Information – sie trug eine große lilafarbene Brille und hatte ein Nasenpiercing –, erklärte ihnen die Modalitäten der Buchrecherche und wies ihnen einen freien Computerplatz zu.
»Autorensuche?«, fragte Constance.
»Einverstanden.«
Constance tippte »del Medigo« und »Elia«. Auf dem Bildschirm flackerte: »Kein Ergebnis«.
»Ein ermutigender Anfang«, sagte Constance.
Sie versuchte es mit »Flavius Mithridates« und »Judah Abravanel«, doch die Antwort war dieselbe.
»Und jetzt?«, fragte Constance. »Machen wir eine Fahrt durch die Grachten und fliegen dann mit einer Dose Speculaas-Keksen in der Tasche nach Paris zurück?«
»Versuch mal, ob es unter ›Esoterik‹ eine Abteilung ›Kirche‹ gibt.«
Constances Finger glitten über die Tasten. »Unter ›Kirche‹ gibt es dreiundzwanzig Bücher.«
»Lass die Liste sehen.«
Der Großteil der Titel bezog sich auf die Kathedrale von Chartres. Über den Dom von Siena gab es nichts.
»Und wenn wir den Archivar um Hilfe bitten?«, fragte Raisa.
»Was sagen wir ihm?«
»Dass wir für die Loge über Pico forschen. Wir fragen
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