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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kroeger
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Tänzerinnen löst sich plötzlich Emma, im goldenen Sari, aber überdeutlich als Europäerin geschminkt. Die Musik wechselt zu einem verführerischen Thema. Anand starrt Emma an. Emma starrt Anand an. Langsam tanzen sie aufeinander zu. Sie umkreisen einander. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Fast berühren sich ihre Lippen.
    Cut. Ein Gong ertönt. Anand öffnet die Augen. Die Tänzerinnen haben sich vor Emma geschoben und die Reihe wieder geschlossen. Die Glöckchen an ihren Füßen klirren leise. Von hinten durch die Reihe wird jetzt von zwei Mädchen eine indische Braut im roten Hochzeitssari hereingeführt. Ihr Blick ist scheu auf den Boden gerichtet.
    Cut. Nur Trommeln. Durch einen Schal aneinander gebunden, läuft das Brautpaar langsam um das Feuer.
    Cut. Flöten und Geigen setzen wieder ein. Anand tanzt mit seiner Braut zu einer älteren Frau, die in einem Sessel sitzt, und berührt ihre Füße.
    Die Musik klingt aus.

24 Chapatis
    Seine Mutter hatte ihn zu sich hochgezogen und ihn lange angeschaut, bis er ihren prüfenden Blick nicht mehr aushalten konnte und zu Boden sah.
    »Die arrangierte Ehe ist keine veraltete Tradition.« Sie sprach leise auf ihn ein. »Diese Europäerin. Kennt sie die Regeln der indischen Gesellschaft? Würde sie dir Chapatis machen können? Und eure Kinder? Ihre Zukunft stünde unter keinem glücklichen Stern. Nicht hier. Nicht dort. Denk an deine Kinder!« Sie nahm ihn bei den Schultern und zwang ihn, sie anzusehen.
    »Ja, Mutter«, hatte er gesagt.
    Doktor Anand Kumar schreckte aus seinen Erinnerungen hoch. Er merkte, dass seine Wangen nass waren. Schnell stand er auf und trat ans Fenster. Unter der Kew Bridge schob sich gerade ein Schiff hindurch. »Ich werde alt und sentimental«, murmelte er vor sich hin.
    Die Sorgen um seine Tochter hatten ihm unnötig zugesetzt. Sie hatte sich einfach Zeit gelassen und ihre Jugend genossen. Sie wollte Medizin studieren, also ließen sie sie nach Cambridge gehen. Sie wollte nicht vor Abschluss ihres Studiums heiraten, also schickten sie die vielen Bewerber wieder nach Hause. Sie wollte unabhängig sein, also kaufte er ihr ein eigenes Auto und eine kleine Wohnung. Aber nachts lag er wach und stellte sich vor, sie würde mit ihren Kommilitonen wilde Partys feiern, ihr Studium abbrechen, um Rap-Sängerin zu werden, oder Drogen nehmen.
    Europa, der Kontinent, mit dem er selbst so viele Jugendträume verband, war ihm auch nach dreißig Jahren noch fremd. Den jungen Menschen hier fehlten der Halt und die Werte einer Familie. Sicher, sie hatten viele Freiheiten, aber niemand erklärte ihnen, wie viele Gefahren diese Freiheit mit sich brachte.
    Anand warf einen letzten Blick aus dem Fenster. Das Schiff war verschwunden. Er hatte jetzt keine Zeit für Sentimentalitäten. Gerade wollte er den Summer betätigen, als die Tür sich von selbst öffnete. Manchmal fragte er sich, ob Nellie telepathische Fähigkeiten besaß. Mit einer Handbewegung, die keinen Widerspruch duldete, scheuchte sie den nächsten Patienten herein, einen verschüchterten kleinen Jungen. Hinter ihm quollen seine aufgeregten Verwandten ins Sprechzimmer.

25 Handycam
    Als du endlich zurück ins Hotelzimmer kommst, findest du Nick schlafend über dem Telefonbuch zusammengesunken. Um ihn türmen sich zerknüllte Zettel und leere Coladosen. Am liebsten würdest du dich dazulegen. Nur noch schlafen.
    Achtung! Beinahe wärst du über die Videokamera gestolpert, die auf dem Boden liegt. Dein Kreislauf kommt wieder hoch. Du greifst nach dem Gerät und drückst den Aufnahmeknopf. »Junger Mann! Ich erwarte Ihren Bericht. Sofort!«
    Im Sucher siehst du Nicks Kopf, der ins Bild schießt. Eine Hand folgt und reibt in den Augen herum. »Ich – oh Mann, bin ich eingeschlafen? So ein Mist.«
    Der Kopf verschwindet und du hörst es knistern. Wie immer, wenn er aufwacht, greift Nick als Erstes zu seinem Tabak. Kopf und Hand kommen wieder hoch, die Zunge leckt blitzschnell über das Zigarettenpapier und die Rolle wandert in den Mundwinkel. Dann blinkt ein Feuerzeug auf. Die automatische Blende reagiert. Nicks Kopf verschwindet im Dunkeln.
    »Ich geb’s auf«, ertönt seine Stimme hinter dem orangen Lichtpunkt. »Die Hälfte spricht kein Englisch, die andere Hälfte ist nicht da. Das kann Jahre dauern. Und was ist, wenn er doch nicht hier ist? Oder tot?«
    Du merkst, wie die Blende langsam wieder aufgeht, und siehst sein erschrockenes Gesicht.
    »Entschuldigung. Ich wollte dich nicht – schlafe

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