Cut
ihr zuvorkommen.
Survival of the fittest.
47 Handycam
Nick zwinkerte mit dem rechten Auge. Selbst durch den Sucher der Kamera blendete ihn das Sonnenlicht. Viel zu starke Kontraste. Er zoomte langsam auf die Hafenmole am Ende der engen Straße. Die alten Häuser mit den verschachtelten An- und Aufbauten, die meisten mit bunten Hotelschildern an der Fassade, verschwanden aus seinem Blickfeld. Er versuchte die Silhouetten junger Männer einzufangen, die in Grüppchen an der Mole herumstanden, aber im Telebereich kriegte er das Bild einfach nicht wackelfrei hin. Also verlegte er sich auf den Dreck, der im trägen Wasser dümpelte.
Auf einmal hörte er einen kreischenden Ton und zoomte schnell zurück. Ein Taxi raste hupend durch die enge Straße. Es verfehlte nur knapp die Kuh, die mit einer ganzen Familie von Menschen direkt unter ihrem Hotel wohnte. Ein leuchtend weißes Touristenpaar kletterte aus dem Auto. Der Mann hechtete an den Kofferraum und griff nach den Rucksäcken, noch bevor der Fahrer ausgestiegen war. Die Frau guckte verunsichert an der Fassade des Hotels nach oben. Sie trug einen Hut und hatte Sommersprossen.
»Codename Nick. Zwei neue Marsmenschen sind soeben eingetroffen.« Er schwenkte herum ins Innere des Zimmers und merkte, wie sich sein überreiztes Auge entspannte.
Mattie war wohl gerade hereingekommen. »Ich hab meine Mailbox abgehört, ich hab Charlotte angerufen. Nichts und niemand. Komisch.«
»Könnte es sein, dass sie uns telekommunikativ aus dem Weg geht? Ich hab dir doch gleich gesagt, die ist so loyal, da passt kein Blatt Papier zwischen sie und ihren Ludwig.« Er folgte ihr mit der Kamera durch das kleine Zimmer.
Sie zuckte die Achseln, warf sich aufs Bett und schlug ihren dicken Reiseführer auf.
Nick versuchte auf die grobe Skizze von Bombay zu zoomen, aber die Schärfe pumpte auf Matties Finger, der ständig durchs Bild wischte.
»Und die blöde Pedder Road finde ich auch nicht da drin.«
Er behielt vorsichtshalber die Kamera vor dem Gesicht, als Schutzschild sozusagen. »Frag doch Cal.«
Mattie fuhr hoch. »Cal ist in Bombay?«
»Wohnt hier.«
Sie starrte direkt in sein Objektiv oder wahrscheinlich eher auf das, was sie dahinter vermutete. Nick und mit ihm die Kamera wichen ihrem Blick nach oben hin aus. An der Decke des Zimmers drehte sich träge ein Ventilator.
Wupp. Wupp. Wupp.
48 Brown Sahib
Cal sprang aus dem Taxi, kramte mit der einen Hand in der Tasche seiner Jeans nach Kleingeld für den Fahrer und hielt mit der anderen sein Handy ans Ohr.
»Klar bin ich wieder hier, was dachtest du denn? Die Hauptstadt des Empire muss noch eine Weile ohne mich auskommen. Du, ich kann jetzt nicht, muss gerade ein paar Freunde treffen. Kennst du nicht. Bye.«
Er musste Nitya ja nicht gleich auf die Nase binden, dass er Leute aus Europa traf. Sie würde es noch früh genug erfahren. So eine Neuigkeit würde nicht lange sein Geheimnis bleiben. »Hast du schon gehört? Cal trifft sich mit irgendwelchen europäischen Plattenbossen.« Die Jungs aus dem Studio würden ihn mit einer Mischung aus Neid und Verachtung gegenüber dem Kollaborateur behandeln.
Etwas außer Atem war er am Ende der engen Treppe angekommen und stand jetzt vor der Rezeption, wo gerade ein junges Paar eincheckte. Cal tippte auf Briten oder Skandinavier. Die Frau starrte ihn unter ihrer Hutkrempe hervor an. Ein Grund, warum er nicht gern nach Colaba kam, war, dass hier das geballte europäische Mittelmaß auf der Durchreise nach Goa oder Rajasthan mit aufgerissenen Augen herumstolperte. Steuerberater auf Seelensuche.
»Kann ich mal kurz?« Er sprach Hindi mit dem Manager, der gerade einen goldenen Kugelschreiber aus der Tasche seines hellrosa Hemdes zog, um damit die Neuzugänge in eine Kladde einzutragen.
Der Kopf des Mannes schoss nach oben.
»Ich möchte zu Mr. Nikolaus –«, er las die Buchstaben von seinem Zettel ab, »O-S-T-R-O-W-S-K-I.«
»Das geht nicht«, flüsterte der Mann und schielte auf die beiden Touristen. »Inder sind hier auf den Zimmern nicht erlaubt.«
Cal biss die Zähne zusammen. »Dann holen Sie ihn bitte!«, presste er hervor, nur mühsam seine Wut unterdrückend. Die Frau zuckte zusammen und verschwand halb hinter ihrem Begleiter. Sicher hatte sie gelesen, die Inder seien immer freundlich und zuvorkommend. Jetzt war sie bestimmt enttäuscht.
Der Manager wand sich wie ein schleimiges Reptil. »Madam, Sir, ich bitte Sie, mich einen Augenblick zu entschuldigen«, gurgelte er. Dann
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