Cut
Nacht und es ist warm!« Nick war ein Meister der Ablenkung.
Mattie nickte und Cal schüttelte den Kopf. »Warm? Es ist wunderbar kühl heute Nacht.«
Sie lachten und gingen dann schweigend nebeneinander her, aber es war kein feindseliges Schweigen.
Nach einer Weile registrierte Cal unwillig, dass Lärm und menschliche Stimmen die Stille durchbrachen. In dem Viereck zwischen seinem eigenen und den angrenzenden Wohnblocks lag ein kleiner Park. Ausgerechnet hier hatte ein; Wanderkino seine Zelte aufgeschlagen. Er wunderte sich, warum sie gerade in Bombay Station machten, wo es klimatisierte Kinos mit verstellbaren Polstersesseln in Massen gab. Aber die Holzbänke waren dicht besetzt. Er erkannte mehrere seiner Nachbarn, vor allem ältere Leute, die sonst so sehr auf ihre Respektabilität bedacht waren und nach Sonnenuntergang selten aus dem Haus gingen.
Auf der Leinwand lief bereits der Abspann. Mattie war stehen geblieben und verfolgte interessiert, wie die Techniker an dem portablen Projektor herumhantierten.
Plötzlich knallte es. Um sie herum gingen Raketen in die Luft. Mattie und Nick guckten sich erschrocken um. Cal musste laut schreien, um den Lärm zu übertönen.
»Morgen ist Republic Day!«, brüllte er.
Sie betrachteten den leuchtenden Himmel. Nick hatte immer noch den Arm um Matties Schulter gelegt. Zögernd nahm Cal die eine Hand aus der Hosentasche und legte seinen Arm dazu. Er spürte die Wärme von Matties Nacken und Nicks nacktem Unterarm. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis das Feuerwerk vorbei war.
57 Republic Day
Mattie winkte ihm zu. Sie stand nur ein paar Meter weiter auf dem Bahnsteig, aber er sah nichts als ihren Kopf zwischen einer wogenden Menge bunter Saris und Salwaars.
Nick hörte die Hupe des Vorortzuges und spannte die Muskeln an. Innerhalb weniger Sekunden wurde sein Körper zum Bestandteil eines festen Blocks aus vielen männlichen Körpern. Die meisten trugen zur Feier des Tages Hemd und Krawatte, einige in den indischen Nationalfarben. Kinderhände mit Fähnchen für die Parade ragten zwischen Schnurrbärten und anderen Haarteilen hervor. Der Zug fuhr ein, und die Menge setzte sich unter lauten Rufen und Gelächter in Bewegung. Nick versuchte mit aller Kraft, im Gleichgewicht zu bleiben und sich nicht abdrängen zu lassen. Als er endlich wie durch einen Strudel in das Innere des Waggons gesogen wurde, war der Zug schon in Bewegung.
Mattie saß wahrscheinlich längst gemütlich in ihrem Frauenabteil und tauschte Kochrezepte aus. Nick versuchte seinen Kopf zu bewegen und sich umzusehen. Er glaubte nicht, dass er das zweimal täglich durchstehen könnte und dazwischen einen achtstündigen Arbeitstag.
»Musst du ja auch nicht.« Cals sarkastische Bemerkung kam ihm in den Sinn. Überhaupt hatte er dauernd das Gefühl, Cal reden zu hören, auch wenn er gar nicht da war. Es war anders als in London, wo Nick sich auskannte. Hier musste er die Welt neu lernen, und Cal war der einzige Maßstab, an dem er diese Welt messen konnte. Alles funktionierte nach Regeln, die er nicht verstand. Geräusche, die er nicht kannte. Sprachen, die für ihn wie Rhythmus klangen, aber keinen Sinn ergaben. Bombay rauschte in Nicks Ohren und auf der zweiten Spur mixte er Cals Stimme dazu.
»Hello, Sir!« Er konnte von dem Mann gerade mal ein Auge und den Knoten einer grell gestreiften Krawatte sehen. »Woher kommen Sie?«, brüllte es in sein rechtes Ohr.
Er war weiß Gott nicht in der Laune für einen gemütlichen Plausch, wollte aber auch nicht unhöflich sein. »Aus Deutschland!«, schrie er in die vage Richtung seines Gesprächspartners.
Das Gesicht eines älteren Herrn schob sich direkt vor seines. »Deutschland! Da war doch unser Netaji Subhas Chandra Bose, bei eurem großen sozialistischen Führer Adolf Hitler!«
Die umstehenden Gesichter reckten sich ihm neugierig entgegen. Nick wäre am liebsten im Boden versunken. »Hitler war kein Sozialist!«, brüllte er zurück, aber der Zug hielt schon wieder. Sein Gesprächspartner wurde von einer neuen Welle Männer abgedrängt, die johlend und lachend in den Wagen geschwemmt wurden.
58 Déjà-vu
Du winkst den drei jugendlichen Schönheiten in Gucci-Klamotten zum Abschied und versuchst in der Menschenmenge auf dem Bahnsteig Nick zu entdecken.
Es war ein komisches Gefühl, allein in dem Abteil mit all den Frauen. Sobald du Nick nicht mehr an deiner Seite hast, beachten dich die Leute kaum noch. Es tut gut, in die Anonymität abzutauchen. Aber
Weitere Kostenlose Bücher