Cut
einen Film.
Der alte Mann keuchte asthmatisch und rief nach seiner Dienerin. Die Frau kam mit einer Spraydose ins Zimmer gelaufen. Mit einer entschiedenen Handbewegung forderte sie sie auf zu gehen.
Nick stand auf. »Entschuldigen Sie bitte die Störung.« Er kritzelte Cals Adresse auf ein Stück Papier. »Sagen Sie Herrn Hauser doch einfach, dass Madita in Bombay ist und ihn gern sprechen würde.«
Kher konnte oder wollte ihm nicht antworten. Seine Dienerin hielt ihm das Asthmaspray wieder an den Mund. Nick legte den Zettel auf den Tisch und stand noch einen Moment unentschlossen herum, bis er Matties Hand an seinem Arm spürte. Wortlos gingen sie nach draußen.
Das grelle Licht und der Verkehrslärm trafen ihn mit voller Wucht. Sofort erschien ihm die vergangene Viertelstunde düster und unwirklich.
Mattie atmete tief aus. »Die Lügen werden nicht weniger, Nick«, sagte sie leise, als sie die Treppe hinunter auf das Meer zugingen. »Sie vermehren sich wie die Schmeißfliegen, hätte meine Oma gesagt.«
65 Sechster Song
Eine Trompetenfanfare erklingt. Tablas setzen ein und geben einen militärischen Takt vor. Schwarzweiß-Bilder. Subhas Chandra Bose hält eine Rede auf dem Platz vor dem Bahnhof.
»Kampf dem britischen Imperialismus!«, brüllt er.
Cut. Die Menge jubelt. Es regnet.
Cut. Nahaufnahme. In der Menschenmenge mit den Regenschirmen steht Ludwig Hauser. Hoch über seinen Kopf hält er das blumengeschmückte Foto von Rajiv Kher.
»Es war kein Unfall!«, brüllt er.
Cut. »Mord!«, brüllt die Menge zurück.
Cut. Eine elektrische Gitarre setzt zu einem Solo an. Das Bild ist jetzt farbig, der Beat treibend. Am Rednerpult steht Cal.
»I tell you a story!«, brüllt er.
Cut. »Ja, tu das!«, brüllen die Leute.
Cut. »Wollt ihr das koloniale Erbe loswerden?«
Cut. »Ja!«
Cut. »Dann zerstört die heilige indische Familie!«
Die Menge tobt.
Cut. Dumpfe Trommeln, Gitarre, ein dramatischer Popsong. Cal springt von der Tribüne auf ein vorbeifahrendes Taxi. Aus den beiden Türen klettern Mattie und Nick zu Cal auf das Autodach. Sie wirbeln durch die Tanzszene.
Cut. Nick und Mattie.
Cut. Mattie und Cal.
Cut. Cal und Nick.
Cut. Totale. Das Auto bleibt in der Menge stecken.
Cut. Plötzlich bricht die Musik ab. Mattie steht allein auf dem Dach des Taxis. Die Menschen um sie herum starren sie wortlos an, wie sie da steht, in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen.
66 Chatroom
Cal hing vor seinem PC. Er konnte es nicht lassen. Selbst jetzt, wo Mattie und Nick da waren, musste er nachts kurz mal ins Netz, wenn sie schliefen.
Ein Freund hatte ihm vor über einem Jahr von den großen Gay-Chatrooms im Internet erzählt. »Die Scheiß-Schwuchteln tauschen da ihre dreckigen Geheimnisse aus«, hatte er gesagt und Cal auf die Schulter gehauen.
Seit diesem Abend war er einer von ihnen, unter einem Decknamen natürlich. Es waren ziemlich nette Typen dabei. Mit einem hätte er sich fast einmal verabredet, aber dann hatte ihn doch die Angst gepackt, dass sie jemanden aus dem Studio treffen könnten.
Er hörte ein Geräusch hinter sich und klickte schnell auf das Logo, um das verräterische Fenster zu schließen.
Zu seiner Überraschung kam Mattie im T-Shirt herein und setzte sich auf die Lehne seines Stuhles. »Was machst du hier?«, fragte sie verschlafen.
»Arbeit«, sagte er hastig, zu hastig. »Und du?«
»Komische Sachen hab ich geträumt«, murmelte sie und berührte ihn leicht am Arm. »Hast wohl mit deiner Nitya gechattet, was?«
Cal hatte sich wieder im Griff. »Du kannst dich in der langen Schlange meiner Verwandten anstellen und fragen, wann ich endlich heirate«, sagte er sarkastisch. »Aber du und Nick scheint es ja mit Familie auch nicht so zu haben.«
»Ich und Nick«, murmelte sie, »ich und Nick und du und Nick.«
»Ich und Nick? Wie kommst du denn darauf?« Cal zog seinen Arm zurück.
Sie sah ihm direkt in die Augen. »Passiert es in Indien nie, dass sich ein Mann in einen anderen verliebt?«
»Spinnst du?« Er versuchte sie vom Stuhl zu schieben, aber sie hielt sich an der Tischkante fest.
»Cal, es ist mir völlig egal, ob du schwul oder hetero oder sonst was bist. Ich will nur wissen, was hier läuft. Nick ist so anders. Und du …« Sie hob die Hand, zögerte kurz und legte sie dann in seinen Nacken. »Ich könnte ihn schon verstehen. Leider.«
Er fühlte, wie die Panik in ihm hochstieg. War das jetzt ein Test oder was?
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest«,; stammelte
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