Cut
Street aufgelesen hatte, kam aus dem Schlafzimmer, streckte sich, gähnte und rieb ihren Kopf an meinem Knöchel. Ich nenne sie White Trash, weil sie weiß ist und weil sie gerade in einem Müllhaufen nach Futter stöberte, als ich sie entdeckte. Wer weiß, wie sie mich nennt. Ich streichelte sie eine Weile und wandte mich dann wieder dem Ausblick zu. Ich hatte schlechte Laune und fühlte mich ungeliebt. Und ich hatte seit Stunden nichts gegessen.
Mein Telefon klingelte. Es war der Ton, den ich Rauser zugeordnet hatte. Ich wollte eigentlich weder mit ihm noch mit sonst jemandem sprechen, aber wie die Leute von den Anonymen Alkoholikern sagen, war ich nicht gut darin, meinen Willen durchzusetzen. «Hey», sagte ich also lustlos. Ich war noch ein bisschen sauer, dass er mich gestern so hart angegangen hatte, nur weil ich nicht tat, was er wollte.
«Das klingt ja nicht besonders gut», sagte Rauser. Im Hintergrund hörte ich Telefone und Stimmen und stellte mir Rauser an seinem Schreibtisch im Polizeirevier vor. Seit er aus meinem Büro gestürmt war, hatten wir uns nicht mehr gesprochen.
«War kein toller Tag», entgegnete ich ausweichend.
«Hast du Dan getroffen?», fragte Rauser, und ich hörte, dass er sich bewegte, dann das Klingeln des Fahrstuhls. «Sollte doch heute sein, oder? Habt ihr geredet?»
«Ich habe die Schnauze voll vom Reden», blaffte ich.
«Echt großartige Einstellung, Street.»
«Er macht eine Therapie», sagte ich. «Genau wie ich. Also lass mich in Ruhe.»
«Du bist sauer.»
«Allerdings. Jetzt hält er sich selbst für einen Analytiker. Außerdem ist er total selbstgerecht. Es ist peinlich.»
«Und wie lautet Dr. Dans Diagnose?»
«Dass ich nicht ernsthaft sein kann. Dass ich Probleme mit Nähe habe.»
Rauser lachte. «Und was hast du gesagt?»
Ich seufzte. «Ich hab ihm gesagt, dass meine Probleme genau hier sitzen, mir zwischen die Beine gegriffen, und bin dann gegangen.»
«Sehr geistreich», sagte Rauser. «Und sehr erwachsen.» Der Fahrstuhl klingelte erneut, dann Schritte auf einem gefliesten Boden. Als es plötzlich rauschte, wusste ich, dass er im Wind auf der Straße stand. Ich fragte mich, welcher Notfall ihn hinausgeführt hatte, ob er unbedingt Zigaretten brauchte oder schon wieder an einen Tatort musste. Zum hundertsten Mal musste ich an die Fotos denken, die er auf meinen Schreibtisch geworfen hatte.
Rauser und ich führten solche Gespräche öfter. Wir kannten uns, wie sich sonst wohl nur Ehepaare kennen. Mein Liebesleben ist bisher eine Abfolge von Kleinkriegen gewesen. Der letzte, eine fünfjährige Ehe, hatte mich ziemlich empfindlich getroffen. Rauser ist seit zehn Jahren geschieden. Er hat zwei erwachsene Kinder, beide leben in Washington, D. C. Er sieht sie, sooft er kann. Angeblich liebt er seine Frau noch. Ich weiß, dass er sie im Lauf der Jahre ein paarmal angerufen, aber immer aufgelegt hat, wenn sie rangegangen ist. Er weiß, dass ich selbst dann mit Dan geschlafen habe, wenn ich total wütend auf ihn war, und dass mein Selbstwertgefühl jedes Mal darunter gelitten hat. Rauser und ich sind beide völlig unfähig zu einer dauerhaften Beziehung, und trotzdem sehnen wir uns nach einer und vermissen sie. Wir sind launisch, schrecklich unnachgiebig und egozentrisch. Unsere Seelenverwandtschaft, so stellten wir einmal bei Kaffee und Donuts fest, basiert auf unseren Mängeln.
«Dan ist ein Idiot», sagte er und atmete aus. Ich stellte ihn mir in Zigarettenqualm eingehüllt vor. «Ein affektierter, nervtötender Idiot. Ich darf dir das sagen.»
Ich dachte einen Moment darüber nach. Dan ist ein feingliedriger Typ mit den fließenden Bewegungen eines Tänzers, dunkelhaarig und auf eine künstlerische, fesche Art gutaussehend, hart an der Grenze zum Affektierten. Ich musste daran denken, wie es ihm immer wieder gelungen ist, seinen feinen Zügen einen entsetzlich gelangweilten Ausdruck zu verleihen, wenn ich ihm jemanden vorgestellt hatte.
«Er ist tatsächlich ein Idiot», bestätigte ich.
«Was reizt dich dann an ihm?»
«Er hat einen Riesenschwanz.»
Rauser lachte. «Hör zu, Keye, tut mir leid wegen gestern. Ich wollte nur … ich weiß auch nicht. Ich wollte meine Laune nicht an dir auslassen, okay?»
In diesen Augenblicken, in diesen kleinen Gesten zeigt sich der wahre Rauser. Wenn er mit Essen aus einem Imbiss auftaucht oder nur anruft, um zu erfahren, was ich gerade mache, und still meine Beschreibung eines gesamten Tages erduldet,
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