Cut
gelesen und Aussagen überprüft werden. Vielleicht gab es sogar schon Personenbeschreibungen. Es war Tag zwei der Suche nach David. Vor zwei Tagen hatte der Brief mit seiner Ermordung gedroht. Rauser und seine Beamten waren so verzweifelt, dass sie KF Z-Zulassungen und Telefonanschlüsse von jedem David überprüfen ließen, was bei einem biblischen Namen im konservativen Süden und in einer Metropole von fast fünf Millionen Einwohnern bestimmt nicht einfach war.
Drei Tage, Lieutenant. Die Uhr tickt
. Für Optimismus war kaum Platz.
«Ich habe jemanden kennengelernt», erzählte mir Diane. «Es ist ernst.»
«Hey, großartig», sagte ich, dachte aber, dass es jedes Mal ernst war für Diane, die sich immer unsterblich und zu schnell verliebte und zu klammernd war und zu schnell alles wollte und damit meistens unter die Räder geriet. Ich sah auf meine Uhr. «Ich rufe dich in ein paar Tagen an. Versprochen. Du musst mir alles erzählen.»
12
E s war fast zwei Uhr am Morgen. Rauser hatte sein Blaulicht angeschaltet, aber nicht die Sirene. Es gab keinen Grund, die Einwohner zu wecken. Wir fuhren über die Peachtree Street nach Buckhead und auf die Piedmont Road, eine schweigende Fahrt zum Tatort eines weiteren Mordes: männliches Opfer, bäuchlings auf dem Boden, mit sichtbaren Bissspuren und Stichwunden. Die Autofenster waren unten, warme Luft zerzauste uns das Haar, der Polizeifunk zeterte im Hintergrund. Im schwirrenden Blaulicht ähnelte Rausers Profil einer Figur aus «Dick Tracy». Alles wirkte irreal. Wie immer auf dem Weg zu einem Tatort schlug mein Herz schneller. Die erste Besichtigung eines frischen Tatorts ist für eine Ermittlung von unschätzbarem Wert. Man sieht ihn so, wie der Mörder den Ort zurückgelassen hat, riecht ihn, fühlt ihn, lauscht seiner Geschichte. Ein Foto kann die eigenen Eindrücke von einem frischen Tatort nicht ersetzen, es gibt einem nie ein Gefühl für Perspektive, Entfernung und Raum. Aber die Zeit drängte. Einmal entdeckt, beginnen sich die Gegebenheiten eines Tatorts unwiderruflich zu verändern. Lampen werden eingeschaltet, Beweismittel eingesammelt, die Luft beginnt zu zirkulieren, manche Spuren werden verwischt, die Leiche wird berührt.
Ich warf einen Blick auf den Tacho. Rauser raste mit hundertzwanzig über die Peachtree Street und achtete kaum aufAmpeln, doch mir ging es noch nicht schnell genug. Ich wollte nur ankommen und dachte allein an die Möglichkeit neuer Beweise, an einen völlig unangetasteten Tatort. Ich dachte nicht an den Verlust eines Lebens oder an die Trauer und die Schande und den Schrecken, die damit einhergingen. Das würde später kommen. Man lernt, seine Gefühle um der Einsatzfähigkeit willen rational aufzuteilen. Leider verträgt sich dieses spezielle Talent eher selten mit unserem Privatleben. Die Scheidungsrate ist hoch unter Leuten wie uns.
Wir hatten wie die anderen Detectives mit Vernehmungsprotokollen, Kaffeebechern und Imbissschachteln in der Ermittlungszentrale gesessen, und die vier Opfer, deren Fotos an der Tafel hingen, hatten uns vor Augen geführt, was mit David passieren könnte, als der Anruf einging und ich sah, wie sich Rausers Miene veränderte. Nachdem Rauser eilig Anweisungen bezüglich der Vorgehensweise am Tatort gegeben hatte, leerte sich die Zentrale in Sekundenschnelle. Während wir an den mit Beamten vollgestopften Fahrstühlen vorbeiliefen und die Treppe nahmen, sprach er über sein Handy mit einem Experten für Blutspuren. Augenblicke später jagte sein Crown Vic mit quietschenden Reifen aus dem Parkhaus der City Hall East.
«Ich will aus diesem Tatort noch die allerkleinste Kleinigkeit herausholen», sagte Rauser zu mir. «Dieses Mal dürfen keine Fehler passieren. Der erste Beamte, der vor Ort war, hat alles abgesichert. Niemand kommt rein. Ein Team des Erkennungsdienstes wartet auf uns, und der Blutspurenexperte ist unterwegs. Brauchen wir sonst noch jemanden am Tatort?»
Ich schüttelte den Kopf. «Nein. Aber für die Bissspuren könntest du bei der Autopsie einen guten forensischen Odontologen brauchen.»
Rauser schwieg einen Moment. «Ich wollte diesen David finden, Keye, lebendig, ich wollte sein Leben retten.»
«Eine Menge Leute enden tot auf ihrem Bauch, Rauser», antwortete ich und drehte mich zum Fenster. «Eine Menge Leute werden erstochen und gebissen. Es muss nicht unbedingt der Wunschknochen-Mörder gewesen sein. Es muss nicht unbedingt David sein.»
In Buckhead preschte er auf den Parkplatz
Weitere Kostenlose Bücher