Cut
oder?»
«Jetzt machen Sie aber mal halblang.» Rauser zog einen Stuhl heran und setzte sich Dobbs gegenüber. «Keye behindert uns nicht. Sie hat nicht drum gebeten. Sie ist hier das Opfer.»
Ich schlug mit der Hand auf den Tisch. Dobbs’ Sandwich machte einen Hüpfer auf dem Teller. Rauser sah mich an, als hätte ich ihm eine geknallt. «Ich bin kein Opfer.»
«Hey, hey, was ist das denn? Beziehungsstreit?» Dobbs’ Augen funkelten provokativ auf eine Weise, dass ich mich sofort wieder unwohl fühlte. So wie früher. Seine Augen, seine Worte, seine Geschichten, seine Hände. Beim FBI hatteich eine Menge Zeit damit verbracht, ihm aus dem Weg zu gehen.
Rauser war aufgesprungen und hatte seine rechte Faust geballt. «Worauf wollen Sie hinaus, Dobbs?»
«Moment, Moment.» Ich hob meine Hände. «Immer mit der Ruhe. Rauser, setz dich, bitte. Verschnaufen wir mal alle kurz, okay?»
Rauser nahm sein Sandwich und ließ sich auf den Stuhl fallen.
Ich schaute Dobbs an. «Ich würde nie absichtlich in welcher Form auch immer mit einem Verdächtigen in Kontakt treten. Niemals. Das wäre nicht vorschriftsmäßig, unmoralisch, unprofessionell, dumm und gefährlich.» Und um des lieben Friedens willen sagte ich, mir sei klar, wer in diesem Fall das Sagen hatte, nämlich er allein. Was natürlich völlig gerechtfertigt sei, denn er habe es verdient und sei sowieso ungefähr der verdienstvollste Typ auf Erden. Bevor meine Schleimerei vollends ins Lächerliche abdriftete, hörte ich auf. Rauser stöhnte leise und stopfte sich alte Chips in den Mund. Ich ging zum Kühlschrank, nahm die Plastikfolie von dem Teller mit Neils Keksen und stellte ihn wie ein Friedensangebot vor Jacob Dobbs.
Dobbs betrachtete mich skeptisch, ehe seine Miene milder wurde, er die Hände aneinanderlegte und sein Kinn auf die Fingerspitzen stützte. Eine Geste, die Nachdenklichkeit anzeigen sollte. «Dann begraben wir das Kriegsbeil, oder?», sagte das selbstgerechte kleine Arschloch. «Was meinen Sie?» Er nahm sich einen Keks und biss hinein. «Geben Sie mir Ihre Unterlagen, und wir machen zusammen ein bisschen Brainstorming?»
Ich durchschaute seine Taktik. Ich sollte ihm alles überlassen, was ich zur Ermittlung beitragen konnte, und erwürde dann natürlich als Einziger die Anerkennung einstreichen.
«Selbstverständlich», sagte ich und legte ihm einen weiteren Keks auf den Teller.
Rauser machte ein mürrisches Gesicht, und wir aßen schweigend. Nachdem Dobbs sein Sandwich und vier Kekse verputzt hatte, erhob er sich und entschuldigte sich höflich zur Toilette. Während er weg war, versuchte ich, Neils Espressomaschine in Gang zu kriegen.
Dann gingen wir mit unseren Kaffeetassen in den Hauptraum und ließen uns auf den ledernen Sitzelementen nieder.
Dobbs gähnte und legte seine Füße hoch. «Unkontrollierte Wut», sagte er und gab ein geheimnisvolles Brummen von sich, wie es sich Ärzte und Automechaniker angeeignet haben. Er las laut aus dem vorläufigen Profil und den Opferanalysen vor, die ich im Krankenhaus beendet und dann zu Hause ausgedruckt hatte, als würde er einen Aufsatz bewerten. Ich hatte kein Problem damit. Wenn man die Kritik von Kollegen an der eigenen Arbeit nicht verträgt, sollte man sie nicht aus der Hand geben. Außerdem war Dobbs bei aller Selbstgerechtigkeit und Faulheit einmal ein verdammt guter Kriminologe gewesen, den ich bewundert und dem ich sogar vertraut hatte. Ich fragte mich, wann er begonnen hatte, nicht mehr in jedem Fall nach der Wahrheit zu suchen. Wann war sein Ruhm zum wichtigsten Antrieb seiner Arbeit geworden? Was hatte ihn verändert?
«Sehen Sie überhaupt kein Moment der Vergeltung in den Taten?» Er sah mich an.
Rauser beugte sich vor. «Jemand hat mich verletzt, und ich lasse es an einem anderen aus, weil er mich an den erinnert, der mich verletzt hat? Meinen Sie das?»
«Genau», sagte Dobbs.
«Es wurde sehr häufig zugestochen. Die Angriffe haben zum Teil sehr lange gedauert», entgegnete ich. «Das kann nicht einfach Vergeltung sein. Es ging darum, die Opfer leiden zu sehen.»
Dobbs brummte erneut. «Möglich, dass es bei den Taten zu Sadismus kam. Aber die ungeheure Wut, die sich in ihnen zeigt, deutet darauf hin, dass sie persönlich motiviert ist. Ausgehend von der Verbindung, die Sie zwischen den Opfern hergestellt haben, könnte man annehmen, dass der Mörder aus einer Familie stammt, die möglicherweise in ähnliche Gerichtsprozesse verwickelt war. Vielleicht waren Mutter oder
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