Cvon (Ushovar-Zyklus) (German Edition)
wisst auch nicht, warum Ihr geheilt wurdet“, erklärte Phalil in einer Mischung aus Frage und Feststellung. Seine Arroganz war wie weggeblasen und sie wussten beide, dass seine Worte nur ein Versteck waren. Er war bewusst in ihre Intimsphäre eingedrungen und hatte sie wie ein interessantes Studienobjekt zu sezieren versucht. Doch das „Objekt“ hatte schon aus geringeren Anlässen getötet und hatte auch noch Augen, in denen diese Tatsache sehr deutlich zu lesen stand. Cvon konnte die Furcht wie ein Feuer in seinem Blick wachsen sehen.
„Ich entschuldige mich“, meinte er mit fester Stimme. „Ich musste sichergehen, dass ...“
„Dein Gewäsch interessiert mich nicht.“ Noch während der Elf das letzte bisschen Farbe im Gesicht einbüßte, stand die Kriegerin auf und verschwand in der schützenden Isolation ihres Zeltes.
Es führt sie zum Hinterausgang des Tempels, vorbei an den Unterkünften der Sklaven zum Haupttor hinaus. Die Wachen erkennen sie. Niemand spricht sie an; sie ist Lecunes kleines Mädchen und darf gehen, wohin sie will. Der Gedanke lässt sie aufschluchzen, doch nur ein winziger Teil von ihr hat noch die Kraft, an etwas anderes als das Schwert zu denken.
Der Ruf ihres Beschützers führt sie vor eine rostige Tür. Der Eingang gehört zu einem schäbigen Gebäude, kaum mehr als ein Steinhaufen, der sich an die Tempelmauer schmiegt. Der entsetzliche Gestank lässt ihr inneres Auge den Sinn des Bauwerkes erkennen. Es ist nichts als ein Dach für die Exkremente der Priesterschaft. Sie erinnert sich an den reich verzierten Sitzeimer ohne Boden in Lecunes Waschraum. Oft hatte sie sich gefragt, wohin die gähnende Tiefe ihre unappetitliche Fracht befördert. Die Aufklärung ist wie unbeleuchtete Dekoration des dunklen Tunnels, durch den ihr Geist unbeirrbar seiner Aufgabe nachkommt.
Sie öffnet die Tür. Die Angeln des trostlosen Gebäudes quälen ihre Ohren mit heiserem Kreischen. Im Augenwinkel nimmt sie einen Sklaven wahr, der heftig zusammenzuckt. Ihre Aufmerksamkeit reicht nicht aus, um zu erkennen, was der bemitleidenswerte Mann hier zu tun hat. Mitleid interessiert sie nicht.
Ihre nackten Füße berühren kalten, glitschigen Stein. Ihre Nase hat schon lange aufgegeben. Die Luft lässt ihre Augen tränen und sie spürt ihren Magen revoltieren. Doch sie geht einfach weiter. Vier Treppen; nur trübes Licht ... dann steht sie vor einem gewaltigen Kloakebecken. Es muss bis unter die Wohnräume der Priester reichen. In der Decke ist eine Öffnung. Das Licht kommt irgendwo von oben.
Sie kann kaum glauben, was ihr Geist so sicher wahrnimmt, wie den alles erstickenden Gestank dieses Raumes. Ihr einziger Freund liegt auf dem Boden dieses Beckens. Lecune hat ihn ... Cvon kann es kaum glauben. Zum ersten Mal in ihrem Leben klärt reinigender Hass ihren Blick. Sie spürt den hilflosen Zorn ihres Beschützers wie ihren eigenen.
Ohne zu zögern springt sie in die zähflüssige Brühe, kämpft sich blind tastend in die Tiefe. Sie ist weit über das Stadium hinaus, in dem Ekel ihre Handlungen beeinflussen kann. Wie ein Stein versinkt sie in der braunen Masse. Ihre Hände tasten sich unbeirrbar durch die dickflüssige Dunkelheit, doch sie kommt nur langsam vorwärts und muss gegen das Gefühl ankämpfen, auf der Stelle zu paddeln. Die Jauche hält sie in ihrer klebrig-kalten Umklammerung, bis ihre Lungen brennen und sie Chind’arses Atem schon im Nacken spüren kann. Dann berühren ihre Finger endlich die vertraute Klinge. Die Waffe springt ihr geradezu in die Hand.
Sie spürt, wie ihr langsam die Sinne zu schwinden drohen, doch ihr Körper scheint ohnehin zu wissen, was zu tun ist. Wie von selbst dreht sie sich um ihre eigene Achse, bis ihre Füße Halt auf dem rauen Beckenboden finden. Mit gewaltigem Schwung katapultieren ihre Beine sie an die Oberfläche. Gierig saugt sie fäkaliengeschwängerte Luft in ihre Lungen. Mit beruhigender Gewichtslosigkeit liegt das Schwert in ihrer Hand. Sie spürt seine Dankbarkeit, doch es muss nicht dankbar sein. Es ist ihr einziger Freund und Beschützer.
Sie schwimmt zum Ufer zurück und zieht sich aus der Brühe. Sie will nur noch eines: Fort von hier. Cvon beginnt zu laufen. Vorbei an dem fassungslosen Sklaven, hinaus aus dem Jauche-Gemäuer, vorbei am Tempel und hinaus aus der Stadt. Sie rennt so schnell sie kann. Fahrende Händler springen ihr aus dem Weg, Kinder verstecken sich und staunende Gesichter blicken ihr nach. Doch sie nimmt ihre Umgebung
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