Cvon (Ushovar-Zyklus) (German Edition)
kaum wahr. Erst zehn Minuten, nachdem sie die Überreste der Stadtmauer hinter sich gelassen hat, wird sie keuchend langsamer. Die Kloake brennt in ihren Augen und bildet eine dicke Kruste über ihrem gesamten Körper. Ihr Schweiß lässt ihre Haut jucken.
Als sie den Fluss sieht, ist es wie ein Geschenk. Allein der Anblick des frischen sauberen Wassers lässt ihren Kopf klarer werden. Mit ausgestreckten Armen lässt sie sich in das träge Gewässer fallen.
Das Wasser ist eiskalt, aber es wäscht die schmierige Patsche von ihrem Körper. Sie weiß, dass sie länger im Fluss bleibt, als gut ist. Aber die Kälte betäubt die Gedanken und Gefühle, die ihren Geist zu einem schmerzhaften Chaos verdrehen. Doch als sie endlich aus den betäubend kalten Fluten steigt, ist die Welt nicht besser geworden.
Ihr Kleid klebt schwer an ihrem Körper und hält sie wie ein schwarzes Seeungeheuer in seinem nassen Griff. Noch immer hängen Jauchereste als braune Bröckchen in ihren Haaren und auch den Gestank hat das Wasser nicht völlig von ihr genommen.
Mühsam steigt sie ans Ufer. Sie weiß, dass sie eine warme Unterkunft braucht, wenn sie nicht sehr krank werden möchte. Aber „Unterkunft“ bedeutet Menschen. Sie hat genug. Nie wieder will sie die Stadt betreten. Nie wieder. Doch sie weiß, dass sie das Leben hier draußen nicht kennt. Und noch hat sie das Schwert; einen Freund, für den sich das Leben lohnt.
Unschlüssig steht sie am Ufer. Die Nässe verwandelt den sanften Wind in eisige Klauen, die ihr die Haut am ganzen Körper zusammenziehen. Ihre Brustwarzen stechen vor Kälte und lenken von dem bedrohlichen Pochen ihrer Brandwunde ab. Sie weiß, dass sie gehen muss, aber erst, als das Schwert sanft ihren Lebenswillen schürt, setzen sich ihre Füße in Bewegung.
Ungeniert ließen ihre strubbligen schwarzen Haare große nasse Tropfen auf Schultern und Rücken ihres Lederpanzers fallen. Es würde keinen Unterschied mehr machen. Seine Schulter war von ihrem geronnenen Blut rostbraun geworden und das hässliche Loch würde sie immer an die scheußliche Erfahrung erinnern. Dennoch hätte sie ihm gern die Pflege angedeihen lassen, die er sich in vielen Jahren treuer Dienste verdient hatte. Aber sie konnte nicht. Sie hatte nur einen Bach, der mitten durch einen unübersichtlichen Wald floss, der tausend Augen verbergen konnte. Selbst wenn sie es gewagt hatte, lange Augenblicke den Kopf ins Wasser zu tauchen, würde sie nicht riskieren, vor eventuellen Beobachtern die Kleidung abzulegen. Cvon war vollkommen bewusst, dass sie ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper hatte und dass das geronnene Blut ihr die Haut aufscheuern und furchtbar jucken würde. Aber sie würde nie wieder vor Anderen entblößt sein. Sie wollte gar nicht wissen, ob man ihr den Lederpanzer zur Versorgung ihrer Wunde ausgezogen hatte oder nicht.
Tröstend berührte das Schwert ihre Seele. Sie spürte die Erleichterung der kalten nichtmenschlichen Schneide wie ihre eigene. Der doppelklingige Tod hatte ihretwegen kaum vorstellbare Ängste ausgestanden. Liebevoll lächelte sie ihren einzigen Vertrauten auf dieser Welt an. Mächtig sah er aus, wie er da neben ihr im Boden steckte und über sie wachte.
Ohne die Umgebung ganz aus den Augen zu lassen, rubbelte sie ihre widerspenstigen Haare trocken und wischte sich die Reste der Farbe und des Wassers aus dem Gesicht. Dann begann sie, die schwarze Paste für den heutigen Tag anzurühren.
Die Routine tat gut.
Die merkwürdige Gespanntheit lag wie eine drohende Gewitterfront über ihrer Reisegruppe und hatte sich in der Nacht nicht verflüchtigt. Wahrscheinlich bedeutete ihre Abwesenheit eine weitere Runde der Diskussion, die sie gestern mit ihrem Erwachen unterbrochen hatte.
Es spielt keine Rolle, was du bist . Was hatte er damit gemeint? Sie hasste es, wenn ihr Sätze von Anderen nicht mehr aus dem Kopf gingen. Sie musste sich dann fragen, warum sie nicht einfach darüber hinweg- und zur Tagesordnung überging. In solchen Momenten war es schwer, sich stark und unanfechtbar zu fühlen. Cvon würde das klären müssen ... genauso wie sie wissen musste, welches Interesse Chind’arse an ihr hatte. Natürlich, sie konnte einfach in einen ihrer Tempel gehen und die Göttin des Todes zur Rede stellen. Unwillkürlich musste sie lächeln.
Gewissenhaft begann sie, ihr Gesicht zu weißen und benutzte die glänzenden Klingen ihres Beschützers als Spiegel, um ihre unheimliche Maske aufzulegen.
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