Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
freigegeben – nicht ohne wie üblich vorher alles aus Sicherheitsgründen mit Nullen zu überschreiben. Innerhalb von Nanosekunden hatte sich die kunstvolle Struktur in Nichts aufgelöst.
    Die Nacht hatte die Wohnungsfenster zu Spiegeln werden lassen. Die leerstehenden Büroblocks waren dunkel – wenn die Hausbesetzer überhaupt Kochfeuer gehabt hatten, so waren sie schon lange verloschen. Maria fühlte sich seltsam losgelöst, als würde sie durch die Zeit treiben; die Fahrt über die Hafenbrücke in strahlendem Sonnenschein war nur noch eine ferne Erinnerung, ein Traum.
    Die einzelnen Komponenten des Garten Eden befanden sich noch immer in den Massenspeichern. Maria löschte ihre Scan-Datei, nicht ohne vorher zu prüfen, ob die Zahl der Zugriffe mit der im Versuchsprogramm vorgesehenen übereinstimmte. Obwohl das einen Mißbrauch ihrer Daten nicht völlig ausschloß, war es beruhigend.
    Den Rest löschte Durham selbst.
    Die Aufzeichnungen der Überwachungssoftware blieben, und sie sahen sich die letzte kurze Aufzeichnung von der Kopie und ihrer Arbeit an. Anschließend wiederholten sie die gesamte zweiminütige Aufzeichnung.
    Je länger Maria zusah, desto unangenehmer fühlte sie sich berührt. Die einzelnen kurzen Bruchstücke hatten sie kalt gelassen; aber wenn man die gesamte Aufzeichnung am Stück ansah, dann erweckte Durhams Kopie den Eindruck eines geistesgestörten Sektierers, der als Fahrer einen Bus voller steifgefrorener Milliardäre geradewegs auf einen Abgrund zusteuerte – immer schneller und euphorischer in der sicheren Überzeugung, daß das Ding fliegen … und sie alle zu einem Land bringen würde, wo die Sonne niemals unterging. Die einzige Erklärung: die Kopie besaß nur eine beschränkte eigene Identität, wußte nicht, daß sie froh ihrem Ende zusteuerte.
    Die Aufzeichnung endete mitten in einem Experiment. Durham schloß die Augen und senkte den Kopf nach vorn. Er weinte lautlos. Maria blickte weg.
    Dann sagte er: »Es tut mir leid. Es muß Ihnen unangenehm sein.«
    Sie drehte sich wieder zu ihm um; er lächelte und schniefte. Maria spürte das Bedürfnis, ihn in die Arme zu nehmen, halb schwesterlich, halb verlangend. Er war blaß und unrasiert, offensichtlich am Ende – aber seine Augen blickten lebendiger als je zuvor: als hätte die Erfüllung seines Traumes ihn vollkommen von seiner Vergangenheit befreit, als würde er die Welt nun mit den Augen eines neugeborenen Kindes sehen.
    »Champagner?« fragte er.
    Maria wurde mißtrauisch. Sie hatte noch immer keinen Grund, ihm zu vertrauen. Sie erwiderte: »Lassen Sie mich zuerst mein Bankkonto prüfen – vielleicht habe ich gar keinen Grund zum Feiern.«
    Durham kicherte, als wäre schon allein die Idee komisch, daß er sie betrogen haben könnte. Sie ignorierte es und benutzte das Terminal. Die versprochenen sechshunderttausend Dollar waren eingegangen.
    Sie starrte auf die nüchternen Ziffern auf dem Schirm. Ein Gefühl von Taubheit breitete sich bei der fremdartigen Erkenntnis aus, daß die einfachen Daten, die dort vor ihr standen, Wohlstand bedeuteten; daß sie ihren Weg hinaus in die lebende, atmende und wieder vergehende Welt nehmen … und zurückkehren würde, reicher noch als je zuvor – mit allem beladen, was Francescas Menschsein bedeutete.
    Sie sagte: »Nur ein Glas. Ich bin mit dem Rad da.«
     
    Es wurde eine ganze Flasche. Durham ging nervös hin und her, wurde ständig hektischer. »Dreiundzwanzig Kopien! Dreiundzwanzig Leben! Stellen Sie sich vor, wie sich mein Nachfolger jetzt fühlen muß! Er hat den Beweis, er weiß, daß er sich nicht geirrt hat. Alles, was ich habe, ist das Bewußtsein, ihm diese Chance verschafft zu haben – und selbst das ist fast unerträglich.« Er begann wieder zu weinen, dann faßte er sich plötzlich. Er drehte sich um und sah Maria forschend an. »Ich habe das alles nur mir selbst angetan, aber es war der reine Irrsinn, eine einzige Qual. Denken Sie bloß nicht, ich hätte am Anfang gewußt, worauf ich mich einlassen würde! Denken Sie nicht, ich hätte gewußt, was mit mir geschehen würde! Ich hätte auf Elisabeth hören sollen – aber hier gibt es keine Elisabeth. Ich lebe nicht. Denken Sie etwa, daß ich lebe? Wenn eine Kopie schon nicht mehr als Mensch gilt, was bin dann ich? Dreiundzwanzig Mal weiter entfernt?«
    Maria versuchte, es einfach über sich ergehen zu lassen. Sie war außerstande, einfach Mitleid zu empfinden – sie war zu sehr beteiligt, zu schuldig –, also versuchte

Weitere Kostenlose Bücher