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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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hinnehmen?«
    »Genau. Es ist sehr schwierig, ihre Beweggründe richtig zu erklären, aber sie haben eine äußerst exakte Ästhetik entwickelt, die ihnen vorschreibt, welche Theorien sie akzeptieren können – es ist fast unmöglich für sie, dagegen zu verstoßen. Sobald sie versuchen, eine Theorie zu tanzen, die nicht mit ihrem plausibilitätsbeurteilenden neuralen System in Resonanz tritt, fällt der Tanz auseinander.« Er überlegte einen Augenblick und deutete anschließend auf den Schirm hinter sich. »Hier haben wir ein Beispiel, es liegt schon eine Weile zurück. Hier ist eine Gruppe von Astronomen – sie wissen alles über die Bewegung ihrer Planeten über den Himmel und relativ zu ihrer Sonne –, die versucht, eine Theorie zu entwickeln, in der der Planet Lambert fest verankert ist und alles andere um ihn herum kreist.«
    Maria beobachtete die Wesen sorgfältig. Es wäre ihr schwergefallen, einen Rhythmus in den komplizierten, taumelnden Bewegungen zu erkennen – aber schließlich trieb der Schwarm auseinander, und der Zusammenbruch der geheimnisvollen Ordnung war unübersehbar.
    »Und hier ist die heliozentrische Version. Einige Jahre später.«
    Der Tanz war wiederum zu komplex für eine Analyse – obwohl er diesmal harmonischer zu sein schien –, und nach einer Weile bekamen die Bewegungen sogar eine hypnotische Kraft. Die schwarzen Pünktchen, die sich gegen den weißen Himmel rhythmisch vor- und zurückbewegten, hinterließen Spuren auf Marias Netzhäuten. Das weitläufige Grasland am Boden schien eine eigenartige Umgebung für astronomische Überlegungen zu sein. Offensichtlich begnügten sich die Lambertianer mit ihrer Rolle – in der das Halten von Milben den größten Eingriff in die Natur darstellte –, als wäre sie genau das gleiche Utopia wie die totale Freiheit der Elysianer. Sie sahen sich immer noch Raubtieren gegenüber. Viele starben noch immer an Kinderkrankheiten. Trotzdem, es gab nie Hungersnöte, und sie hatte ihr eigenes Bevölkerungswachstum unter Kontrolle. Sie hatten bereits sehr früh gelernt, die Ausschläge ihrer Zyklen zu dämpfen. Und – naturliebend oder nicht – es hatte nie ideologischen Streit über Geburtenkontrollen gegeben; nachdem das Bevölkerungsmodell erst verbreitet gewesen war, hatten alle Gemeinden über den ganzen Planeten die gleichen Gegenmaßnahmen ergriffen. Die kulturelle Vielfalt der Lambertianer war nicht besonders groß; viel mehr von ihrem Verhalten war genetisch verankert als das bei Menschen der Fall gewesen war – die Jungen wurden als Nestflüchter geboren, waren vom ersten Moment an selbständig und neural viel weniger formbar als menschliche Säuglinge –, und es gab nur eine relativ geringe Schwankungsbreite in den bedeutsamen Genen.
    Die heliozentrische Theorie erschien einleuchtend, und der Tanz brach nicht auseinander. Repetto wiederholte die Szene und brachte eine »Übersetzung« in ein kleines Fenster am Bildschirmrand: Es zeigte die Positionen der Planeten zu jedem Moment des Tanzes. Maria konnte die Zusammenhänge noch immer nicht erkennen. Sicher flogen die Lambertianer nicht in einer einfachen Nachahmung der hypothetischen Umlaufbahnen herum – aber die synchronisierten Rhythmen der Planeten und Insektenastronomen schienen sich irgendwo in ihrem visuellen Cortex zu verflechten, feuerten in irgendeinem geheimnisvollen Muster, das nicht genau wußte, was es mit der fremdartigen Resonanz anfangen sollte.
    Schließlich meinte sie: »Also war das ptolemäische Weltbild nur schlechte Grammatik. Doppelplus-schlecht. Offensichtlicher Unsinn. Und sie sind tatsächlich bereits ein paar Jahre später auf das kopernikanische gestoßen? Das ist wirklich beeindruckend. Wie lange haben sie gebraucht, um bei Kepler … oder bei Newton anzukommen?«
    Sanft sagte Zemansky: »Das war Newton. Die Theorie von der Gravitation – und die Gesetze der Bewegung – waren alle Bestandteil des Modells, das sie eben tanzten. Die Lambertianer hätten niemals die Gestalt der Umlaufbahnen erklären können, ohne eine Begründung dafür zu besitzen.«
    Maria spürte, wie sich ihre Nackenhaare zu sträuben begannen.
    »Wenn das Newton war – was kam denn davor?«
    »Nichts. Es war das erste erfolgreiche astronomische Modell ihres Sonnensystems. Die Zusammenfassung einer Dekade von Versuch und Irrtum von Arbeitsgruppen auf der gesamten Welt.«
    »Aber sie müssen irgend etwas gehabt haben. Primitive Mythen. Stapel von Schildkrötenpanzern. Götter in

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