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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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erwachen, das sie nie verlassen hatte.
    Und dann begann sich jedesmal der Nebel in ihrem Kopf zu klären, und sie erkannte die Wahrheit.
    Sie träumte zum ersten Mal von der Stadt. Sie war auf der Fünften Straße unterwegs, als die Marionetten sie darum zu bitten begannen, als vollwertige, bewußte Wesen behandelt zu werden. »Wir bestehen den Turing-Test, oder wollen Sie das bestreiten? Ist ein Fremder in einer großen Masse weniger als ein Mensch, nur weil Sie sein Innenleben nicht erkennen können?« Sie zerrten an ihren Kleidern wie Bettler. Sie ermahnte die Marionetten, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Sie sagte: »Wie könnt ihr euch nur beklagen? Versteht ihr denn gar nichts? Wir haben alle Ungerechtigkeiten abgeschafft.«
    Ein Mann in einem frisch gebügelten schwarzen Anzug blickte sie scharf an und sagte: »Sie werden immer Rechtlose haben.« Aber er hatte unrecht.
    Und Maria träumte von Elysium selbst. Sie schlängelte sich auf ihrem Weg über das TVC-Gitter zwischen den Prozessoren hindurch, die das alles in ein einfaches Muster selbsterhaltender Zellen umwandelten, den ältesten, primitivsten Formen künstlichen Lebens gleich; sie störte nichts, beobachtete alles – in allen sechs Dimensionen zugleich. Als sie erkannte, wie absurd ihre Vorstellung war, wurde sie wach. Das TVC-Universum war nicht von etwas wie einem Äquivalent zu Licht durchflutet, das Informationen über seine Zellen freigegeben hätte. In das Gitter eingebettet zu sein bedeutete, blind für seine Bestandteile zu sein; der einzige Weg, irgend etwas zu entdecken, lag im schmerzhaften – manchmal sogar zerstörenden – Vorantasten.
    Am späten Nachmittag, wenn das goldene Licht der Sonne nach Tausenden zufälliger, berechneter Brechungen zwischen den Türmen durch ihr Schlafzimmerfenster hereinfiel, begann sie regelmäßig zu weinen. Es war irgendwie unpassend, unmoralisch, pathetisch – und grundlos. Sie wollte nicht die menschliche Rasse betrauern – aber sie hatte keine Ahnung, wie sie mit ihrer Abwesenheit umgehen sollte. Sie weigerte sich zu akzeptieren, daß die Erde schon lange tot war – als hätten die Millennien, die sie in Elysium verschlafen hatte, sie in eine ungewisse Zukunft geschleudert – und sie kämpfte darum, an die Zeit gebunden zu bleiben, an die sie sich erinnerte, und dem Leben ihrer Doppelgängerin im Geist zu folgen. Sie stellte sich eine Versöhnung mit Aden vor; es war nicht unmöglich. In ihren Gedanken war er sehr lebendig, genauso zärtlich und egoistisch und starrköpfig wie immer. Sie phantasierte die schönsten, unaussprechbaren Momente herauf, zwang sich, nicht zu optimistisch zu sein, zu sehr ihrem Wunschdenken zu erliegen. Sie hatte nicht vor, für die andere Maria ein vollkommenes Leben zu erfinden, sie wollte nur die unbekannte Wahrheit erraten.
    Aber sie mußte einfach weiter daran glauben, daß sie Francesca gerettet hatte. Alles andere wäre unerträglich gewesen.
    Sie versuchte, sich als Emigrantin zu sehen, als jemand, der die weite Reise über die Meere gemacht hatte in den Tagen, bevor die Telegrafie und Flugzeuge erfunden worden waren. Die Menschen damals hatten alles hinter sich lassen müssen. Und sie hatten trotzdem überlebt. Waren reich geworden, hatten ihr Glück gefunden. Ihre Leben waren nicht zerstört worden; sie hatten das Unbekannte willkommen geheißen und waren dafür belohnt worden.
    Das Unbekannte? Sie lebte in einem Artefakt. Einem mathematischen Gebilde, bei dessen Konstruktion sie Durham geholfen hatte. Elysium war ein Universum, das sie geordnet hatten. Es enthielt keine versteckten Wunder, keine geheimnisvollen Wesen.
    Aber es enthielt das Autoversum.
    Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam ihr der Planet Lambert als der Schlüssel zu ihrer geistigen Gesundheit vor. Selbst nach drei Milliarden Jahren der Evolution war er das einzige Ding im Elysium, das sie mit ihrem vergangenen Leben verband – es führte geradewegs zu jener Nacht zurück, als sie beobachtete, wie A. lamberti begonnen hatte, Mutose zu verdauen. Der Faden zog sich bis zu A. hydrophila, das direkt aus diesem Stamm entsprungen war. Und wenn das Autoversum damals auch nur ein teurer Luxus gewesen war, ein exklusives intellektuelles Spiel in einer von Problemen geplagten Welt – heute hatte sich die Situation vollkommen in ihr Gegenteil verkehrt: Das Autoversum war die Heimat von Hunderten von Millionen Lebensformen, einer blühenden Zivilisation, einer Kultur vor dem Durchbruch

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