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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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europäische Staatsbürgerschaft – in immer weitere Ferne rückt.«
    Durhams Softwaremarionette neigte höflich zustimmend den Kopf. Vielleicht gab es noch eine andere Marionette, sagte sich Thomas in einer plötzlichen Eingebung – eine, die viel eher den wirklichen Durham verkörperte und, vor einem Schirm sitzend, genau in diesem Augenblick eine Taste des Untermenüs ETIKETTE drückte. Eine paranoide Vorstellung? Aber jeder aufmerksame, feinfühlige Bittsteller würde genau das tun und keinesfalls riskieren, daß man seine wahre Körpersprache unmittelbar verfolgen konnte.
    Die sichtbare Marionette sagte: »Warum auch eine Menge Geld ausgeben, nur um das Warten auf den Fortschritt unnötig zu verlängern? … Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß eine Reform in Ihrem Sinne gute Chancen hat – auf kurze Sicht. Natürlich neiden die Menschen den Kopien ihre »Langlebigkeit«, aber die PR-Anstrengungen waren soweit sehr geschickt. Von einigen sorgfältig ausgewählten Kindern mit tödlichen Krankheiten wurden Scans angefertigt – jetzt erweckt man sie jedes Jahr einmal zum Leben: Das ist aufregender als eine Reise nach Disneyland. Man finanziert – höchst diskret – zu einem kleinen oder größeren Teil eine Fernsehserie, in der die Kopien Angehörige der Unterschicht sind; das nimmt der ganzen Sache etwas von ihrem Schrecken. Die Debatte über den rechtlichen Status von Kopien wird gemeinhin als eine Debatte über Menschenrechte angesehen, vor allem in Europa. Kopien seien doch eigentlich Behinderte, heißt es – eine Art radikal Amputierter –, und jeder, der von dekadenten, ewig lebenden Reichen, die alles an sich raffen spricht, wird als Neonazi ausgebuht.
    Es spricht also nichts dagegen, daß Sie möglicherweise in zehn Jahren die vollen Bürgerrechte für sich in Anspruch nehmen dürfen – und mit etwas Glück wird das auch zwanzig oder dreißig Jahre lang so bleiben. Aber … was bedeuten für Ihresgleichen schon ein paar Jahrzehnte? Glauben Sie wirklich, daß dieser Status quo für alle Zeiten unangetastet bleiben kann?«
    »Natürlich nicht«, sagte Riemann, »aber ich sage Ihnen, was man nicht antasten wird: Scan-Kliniken und Rechenkapazität – sie wurden so billig, daß jedermann auf diesem Planeten wiederauferstehen kann. Jeder, der es möchte. Und wenn ich sage billig, dann rede ich von Beträgen, die nicht höher sind als der Preis einer Dosis Impfstoff um die Jahrhundertwende. Stellen Sie sich das einmal vor: daß man den Tod ausrotten könnte wie Pocken oder Malaria! Und ich rede nicht irgendwelchen solipsistischen Phantasien das Wort, keinem sich selbst genügenden Existieren außerhalb der Welt: Jede Kopie wird ihren Telepräsenzroboter haben, mit dem sie an der physikalischen Welt teilhaben kann wie die anderen Menschen auch. Unsere Zivilisation würde nicht die Realität hinter sich gelassen haben, nur die Biologie.«
    »Aber bis dahin wird es wohl noch eine ganze Weile dauern.«
    »Sicher. Aber sagen Sie nicht, ich würde nicht auf lange Sicht planen!«
    »Und was ist in der Zwischenzeit? Es wird immer mehr Kopien geben – eine eigene, privilegierte und immer mächtigere Klasse, die von der großen Mehrheit jener, die es ihnen nicht nachtun können, als Bedrohung empfunden wird. Die Kosten werden sinken, aber nicht deutlich genug. Nur so weit, daß die rasch anwachsende Nachfrage seitens der oberen Mittelkasse befriedigt werden kann – wenn diese Leute erst einmal ihre Bedenken abgeschüttelt haben – und das womöglich gleich scharenweise. Auch im säkularisierten Europa haben die Menschen tief verwurzelte Vorurteile: Sterben ist eine moralische Pflicht – etwas, um das man sich nicht drücken darf. Eine Frage der Ethik … aber wenn erst einmal ein augenfälliger Teil der Bevölkerung sich darüber hinwegsetzt, dann wird eine gewaltige Gegenreaktion einsetzen. Eine winzige Gruppe von Ultrareichen, die als Kopien weiterexistieren – das ist wie ein Wachsfigurenkabinett, eine Monströsitätenschau. Einem Krösus ist so etwas gestattet, denn niemand erwartet von ihm das Verhalten eines normalen Menschen. Aber warten Sie, bis die Zahlen auf das Zehnfache gestiegen sind!«
    Für Thomas war das keineswegs neu. »Wir werden eine Zeitlang nicht besonders beliebt sein – damit müssen wir leben. Wissen Sie überhaupt, daß wir schon heute weit weniger angefeindet werden als jene, die ihr Leben mit biologischen Methoden zu verlängern suchen … Transplantationen, Zellauffrischung oder was

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