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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Sie war auf dem Weg zu einem Rockkonzert in Westberlin. Nick Cave And The Bad Seeds.
    Das Café war überfüllt, und sie hatten zusammen an einem Tisch gesessen. Anna war alles andere als eine umwerfende Erscheinung: dunkles Haar, grüne Augen, ein rundes, flaches Gesicht. Thomas hätte kein zweites Mal hingesehen, wenn sie ihm irgendwo auf der Straße begegnet wäre. Aber sie sollte schnell einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.
    Ein kurzer, anerkennender Blick, dann sagte sie zu ihm: »Für ein Hemd wie dieses würde ich glatt jemanden umbringen. Sie haben einen teuren Geschmack. Womit finanzieren Sie ihn?«
    Thomas log vorsichtig. »Ich habe Ingenieurwissenschaften studiert – bis vor ein paar Monaten. Aber ich habe es vermasselt, ein hoffnungsloser Fall.«
    »Und was tun Sie jetzt?«
    Er machte ein bekümmertes Gesicht. »Mein Vater besitzt eine Handelsbank. Ich wollte Ingenieur werden, um nicht in seine Fußstapfen treten zu müssen, aber …«
    Sie zeigte nicht eine Spur von Mitleid. » … aber Sie haben es vermurkst, und jetzt hat Ihr alter Herr Sie am Hals.«
    »Und ich ihn.«
    »Ist er sehr reich?«
    »Ja.«
    »Und Sie können ihn nicht ausstehen?«
    »Klar.«
    Sie lächelte süß. »Soll ich ihn für Sie kidnappen? Sie verschaffen mir alle nötigen Informationen, und anschließend teilen wir uns das Lösegeld, halbe-halbe.«
    »Leben Sie davon, Bankiers zu kidnappen?«
    »Nicht ausschließlich.«
    »Ich würde sagen, Sie arbeiten in einem Schallplattenladen.«
    »Falsch.«
    »Dann in einem Second-Hand-Laden.«
    »Kalt, ganz kalt.«
    »Mit wem fahren Sie nach Berlin?«
    »Mit ein paar Freunden.«
    Als der Lautsprecher ihren Zug ankündigte, bat er sie um ihre Telefonnummer. Sie schrieb sie auf die Manschette seines Hemds.
    In den folgenden Monaten rief er jedesmal bei ihr an, wenn er in den Norden fuhr. Dreimal gab sie vor, keine Zeit zu haben. Fast hätte er aufgegeben, aber ihr Gesicht mit dem spöttischen Ausdruck ging ihm nicht aus dem Sinn. Er wußte, daß er diese Frau wiedersehen wollte.
    Anfang November war es soweit. Sie sagte: »Kommen Sie vorbei, wenn Sie Lust haben. Ich habe heute noch nichts vor.«
    Er hatte vorgehabt, sie in einen Nachtklub auszuführen, aber sie hatte ein Kind bei sich, ein Baby von wenigen Monaten. »Es ist nicht meines. Ich passe einer Freundin zuliebe auf den Kleinen auf.« Sie sahen fern, dann liebten sie sich auf dem Sofa. Als Anna von ihm herunterkletterte, sagte sie: »Du bist wirklich süß.« Sie küßte ihn auf die Wange und verschwand im Schlafzimmer, versperrte die Tür hinter sich. Thomas schlief ein, während im Fernseher ein alter John-Wayne-Film lief. Gegen zwei Uhr morgens klopften zwei halbwüchsige Mädchen mit verschmierter Wimperntusche an die Tür, und Anna verkaufte ihnen ein Plastiktütchen mit weißem Pulver.
    Thomas, noch immer auf der Couch, fragte Anna, ob es Heroin oder Kokain wäre.
    »Heroin.«
    »Du nimmst diesen Dreck?«
    »Nein.« Sie lächelte ihn amüsiert an, aber es schien ihr vollkommen gleichgültig, ob er ihr glaubte oder nicht.
    Als er das nächste Mal aufwachte, war es halb sechs. Anna war verschwunden. Das Baby schrie in seiner Krippe. Thomas wechselte die Windeln und fütterte es. Anna hatte ihm gezeigt, wo die Sachen verstaut waren. Er wollte duschen, aber es gab kein heißes Wasser. Er rasierte sich und kam noch rechtzeitig zu seinem Termin. Er sagte sich, daß Anna wohl bald zurückkommen würde. Der säuerliche Geruch des Babys haftete den ganzen Morgen und noch während des Mittagessens an seinen Händen. Er fragte sich, ob die ständig lächelnden Immobilienmakler es ebenfalls riechen konnten.
    Von seinem Hotel aus – er hatte für eine Nacht bezahlt, obwohl er sie nicht dort verbracht hatte, da sein Vater eigenhändig die Spesenabrechnungen prüfte – rief er Anna an. Sie war zu Hause, er hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Irgend jemand im Hintergrund grunzte ärgerlich. Thomas nahm nicht an, daß es das Baby war.
    Das nächste Mal kam er an einem Samstagnachmittag, und sie hatten beide viel Zeit. Sie trafen sich im Alsterpavillon, tranken Kaffee und bewunderten die Aussicht über die Binnenalster und die Kasper, die in ihren Ruderbooten auf und ab fuhren. Auf dem Jungfernstieg gingen sie einkaufen. Anna suchte sich Kleider aus, und Thomas zahlte: Designermist im Großmutterstil, der schlimmer aussah als die billigste Imitation. Sie schien nicht das geringste Interesse daran zu haben, sich wie er zu kleiden. Arm

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