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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Koffer und zog frische Sachen an: Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Er ging durch die Wohnung und sammelte alles ein, was ihm gehörte. Fast hätte er auch Annas Adreßbuch eingesteckt, aber beim Durchblättern stellte er fest, daß sein Name nicht darin stand. Er suchte nach Tagebüchern, aber er fand nichts dergleichen.
    Dutzende von Leuten hatten sie zusammen gesehen, Monat für Monat. Annas Nachbarn, Annas Freunde. Dutzende von Leuten hatten sie zusammen aus dem Nachtklub gehen sehen. Er hatte keine Ahnung, wie viele ihrer Freunde wußten, was er machte, woher er kam. Er selbst hatte den meisten kaum mehr als seinen Vornamen verraten – und wenn er mehr erzählt hatte, dann waren es Lügengeschichten. Aber natürlich war nicht ausgeschlossen, daß Anna ihnen mehr gesagt hatte.
    Es war schlimm genug, daß man sie lebend zuletzt in seiner Begleitung gesehen hatte; er konnte unmöglich riskieren, in der Nacht ihres Todes aus der Haustür zu spazieren.
    Die Wohnung lag im zweiten Stock. Das Fenster im Bad ging auf eine kleine Gasse hinaus. Thomas warf den Koffer hinunter – ein dumpfer, aber weicher Aufprall. Einen Augenblick lang dachte er daran, hinterher zu springen, überzeugt, daß ihm nichts passieren würde – oder wenigstens, daß es ihm gleichgültig wäre. Aber die Stimme einer kühlen, berechnenden Vernunft und eine Millionen Jahre alte Maschinerie in seinem Kopf forderte nur eines: überleben.
    Er stieg auf die Fensterbank, je einen Fuß auf der rechten und linken Kante, und zwängte sich durch die Öffnung des Schiebefensters; einen Sims gab es nicht, er hockte unmittelbar auf dem zwei Ziegelsteine breiten Mauerwerk. Es war nicht einfach, in dieser Position das Gleichgewicht zu halten, aber wenn er die linke Hand gegen den oberen Fensterrahmen stemmte, ging es.
    Er drehte sich seitwärts und tastete an der Mauer entlang, bis er das Badezimmerfenster der Nachbarwohnung spüren konnte. Verkehrslärm erscholl von jenseits des Häuserblocks. Irgendwo war Musik, aber die Wohnung nebenan war dunkel, die Gasse unten verwaist. Die beiden Fenster lagen kaum einen Meter auseinander, aber das Nachbarfenster war geschlossen und halbierte so die Trittbreite für seinen Fuß. Mit einer Hand an je einer Fenstereinfassung schob er vorsichtig den rechten Fuß nach drüben. Dann schmiegte er sich gegen das Mauerstück zwischen beiden Fenstern, klammerte sich – ein Unterarm hüben, der andere drüben – an die Einfassungen und zog den linken Fuß nach. Er hielt sich vorsichtig mit der rechten Hand fest, löste die linke und stand nun ganz auf der schmalen Ziegelleiste vor dem Nachbarfenster.
    Er schob sich weiter, unterdrückte den Impuls zu beten. Ave Maria, bitte für uns Sünder? Er bemerkte, daß er aufgehört hatte zu weinen. Dicht neben dem Fenster, auf der gegenüberliegenden Seite, war ein Regenrohr. Er glaubte schon zu spüren, wie ihm das verrostete, rissige Blech die Hände zerschnitt, doch das Rohr war glatt. Er brauchte seine ganze Kraft, um sich mit Händen und Füßen festklammern und langsam hinunterlassen zu können. Als er den Boden berührte, gaben seine Beine nach. Aber nur ein paar Sekunden.
    Er versteckte sich drei Stunden lang in einer öffentlichen Toilette; starrte gegen die Wand, immer auf denselben Fleck. Die Lampen, die Kacheln – alles hätte zu einem Gefängnis oder einer Irrenanstalt gehören können. Ihm war, als gehörte er nicht mehr in diese Welt, als existierte seine Vergangenheit nicht mehr. Die Zeit war nur ein Aufblitzen zusammenhangloser Momente aus Bewußtsein und Entsetzen, schimmernde Quecksilbertropfen, Bäche von Schweiß.
    Das bin nicht ich! Das ist jemand anderes, der glaubt, ich zu sein …Es ist unrecht, unrecht, unrecht.
    Niemand störte ihn. Um sechs spazierte er in das Licht des frühen Morgens und nahm den nächsten Zug nach Frankfurt.
     

15
    (Vergib nicht den Mangel)
    April 2051
     
    Durhams Wohnung im Norden von Sydney war klein und äußerst sparsam eingerichtet; mitnichten das, was Maria erwartet hatte. Mehr als das Wohnzimmer mit Kochecke hatte sie nicht zu Gesicht bekommen, aber dem Anschein nach gab es auch so gut wie keinen Platz für mehr. Die Wohnung lag im sechzehnten Stock eines Hauses, eingezwängt und förmlich belagert von Bürotürmen aus den späten zwanziger Jahren mit geschmacklosen Fassaden aus blauem und rosafarbenem Marmorimitat. Keine Rede von einem mietpreistreibenden Ausblick über den Hafen. Das war recht mager für jemanden, der

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