Cyber City
in Arm spazierten sie von einem Laden zum anderen, und vor der Tür der teuersten Hamburger Boutique blieben sie stehen und küßten sich mehrere Minuten, wobei sie den Eingang für andere Kunden blockierten. Schließlich betraten sie das Geschäft und ließen eine Menge Geld dort.
Später, in einem Nachtklub mit einer schrecklichen Live-Band in Beatles-Klamotten, die Lieder der Sex Pistols nachspielte, trafen sie Martin, einen großen, blondhaarigen, drahtigen Jugendlichen, den Anna als Freund vorstellte. Martin triefte vor falscher kumpelhafter Freundlichkeit und versuchte so verzweifelt, einschüchternd auf Thomas zu wirken, daß es fast komisch war. Zusammen wankten sie zurück in Annas Wohnung, wo sie sich auf den Fußboden setzten und Platten hörten. Als Anna zur Toilette gegangen war, zog Martin ein Messer und drohte Thomas, ihn zu massakrieren. Er war stockbetrunken. Thomas sprang hoch und trat Martin ins Gesicht. Martins Nase brach, und Thomas nahm ihm das Messer ab. Dann schleifte er den stöhnenden Burschen hinaus in den Hausflur. Er drehte ihn auf die Seite, damit er nicht an seinem Blut oder Erbrochenem ersticken konnte, und sperrte die Tür hinter sich zu.
Anna kam aus dem Badezimmer. Thomas erzählte ihr, was geschehen war. Sie ging hinaus und sah nach Martin, dann legte sie ihm ein Kissen unter den Kopf.
Während Anna sich Stück für Stück seiner Kleider bemächtigte, sagte Thomas: »Einmal habe ich im Fernsehen einen englischen Soldaten gesehen, der gerade aus Nordirland zurückgekehrt war. Er sagte: ›Es war zwar die Hölle, aber es war wirklich. Zumindest weiß ich jetzt, daß ich gelebt habe.‹« Thomas lachte traurig. »Der kleine Dummkopf hatte eine völlig verkehrte Logik entwickelt: Das Töten von Menschen ist die Wirklichkeit – und ein normales Leben nur eine Art Traum, eine Illusion. Armes Schwein!«
Er betrachtete Annas Haut, suchte nach Einstichen, aber er fand keinen einzigen.
Zurück in Frankfurt, dachte Thomas ständig an sie, ob im Büro, allein in seiner Wohnung, am Eßtisch im Haus der Eltern. Er sah ihr Bild vor Augen, er roch ihren Duft. Die Erinnerungen lenkten ihn nicht von seiner Arbeit ab – aber sie waren gegenwärtig, wenn er mit den Leuten sprach, wenn er ein Hypothekendarlehen erläuterte – wie die Hintergrundmusik in einem Supermarkt.
An Ostern sprach sein Vater mit ihm. »Du solltest langsam ans Heiraten denken. Mir ist es gleich, was du tust, aber es hat gewisse soziale Vorteile, die du früher oder später nötig haben wirst. Und denk auch daran, wie sehr sich deine Mutter freuen würde.«
Thomas sagte: »Ich bin erst vierundzwanzig.«
»Mit vierundzwanzig war ich bereits verlobt.«
»Vielleicht bin ich schwul? Vielleicht habe ich eine unheilbare Geschlechtskrankheit?«
»Ich wüßte nicht, warum das eine oder das andere ein Hinderungsgrund sein sollte.«
Thomas sah Anna an jedem zweiten Wochenende. Er kaufte ihr, was immer sie haben wollte. Manchmal hatte sie das Kind bei sich. Das Baby hieß Erik.
Thomas fragte sie: »Wer ist denn die Mutter? Kenne ich sie?«
Sie sagte: »Nein, und darüber solltest du froh sein.«
Manchmal machte er sich Sorgen um sie; er fürchtete, daß sie eines Tages von der Polizei verhaftet werden könnte oder daß ein Junkie oder ein anderer Dealer sie zusammenschlug – aber scheinbar war sie sehr gut in der Lage, selbst auf sich aufzupassen. Er hätte einen Detektiv beauftragen können, um ihre Geheimnisse zu enträtseln, oder Leibwächter, um sie zu beschützen – aber er wußte, daß er kein Recht dazu hatte. Er hätte ihr eine Wohnung kaufen, Geld für sie anlegen können – aber sie machte nie eine derartige Andeutung, und er hatte das Gefühl, daß sie zutiefst verletzt reagieren würde, wenn er den Vorschlag von sich aus machen würde. Seine Geschenke waren mehr als großzügig, aber er wußte, daß sie auch ohne seine Zuwendungen zufrieden gewesen wäre. Sie benutzten sich gegenseitig. Er redete sich ein, daß sie genauso unabhängig war wie er.
Er würde es nicht Liebe genannt haben. Es machte ihn nicht krank, wenn sie nicht zusammen waren; er fühlte sich eher angenehm betäubt, voller Vorfreude auf das nächste Treffen. Er war eifersüchtig, aber nicht besessen – und sie verstand es, ihre anderen Liebhaber aus dem Weg zu halten, wenn er da war. Martin begegnete er niemals wieder.
Anna flog mit nach New York. Zusammen schliefen sie mitten in einem Broadway-Stück ein, zusammen hörten sie
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