Cyberabad: Roman (German Edition)
Draht ihm das Fleisch bis auf die Knochen abschält. Der Subadar wirft einen von seiner Stiefelspitze, hebt den Gewehrkolben und zertrümmert das Ding. Aber es sind immer viel zu viele. Das ist die Taktik. Der Subadar ruft seine Männer zurück. Sie rennen. Die Skarabäen flitzen hinterher. Thomas Lull hält immer noch seinen Reisepass in der Hand, wie ein Kreuz, mit dem man vor dem Gesicht eines Vampirs herumwedelt.
»Ich glaube, dazu ist etwas mehr nötig«, sagt der Subadar, packt Thomas Lull am Arm und zerrt ihn mit sich. Hinter der Reihe der Fahrzeuge schälen sich Männer mit Flammenwerfern aus der Tarnung. Dann wird Thomas Lull bewusst, dass Kij ihm entglitten ist. Er brüllt ihren Namen. Er weiß nicht mehr, wie oft er diesen Namen während dieser Nacht schon in diesem verlorenen, von Furcht verstümmelten Tonfall gerufen hat. Thomas Lull reißt sich von dem Bharati-Offizier los.
Kij steht vor der huschenden, hüpfenden Linie der Kampfroboter. Sie lässt sich auf ein Knie nieder. Sie sind nur noch wenige Meter, wenige Augenblicke entfernt, mit schrillenden Sensendrähten. Sie hebt die linke Hand mit der Innenfläche nach außen. Der Ansturm der Roboter kommt zum Stillstand. Einer nach dem anderen, dann immer mehr auf einmal, ziehen sie ihre Waffen ein, rollen sich zur kugelförmigen Transitkonfiguration zusammen. Dann stürmt ein Bharati-Jawan vor und reißt sie zurück, und die Männer feuern mit den Flammenwerfern, Feuer gegen Feuer. Thomas Lull geht zu ihr. Sie zittert, ihr Gesicht ist mit Tränen und Ruß verschmiert, und sie hält immer noch den verdrehten Trageriemen ihrer kleinen Tasche in der Hand.
»Hat jemand eine Decke oder so etwas?«, fragt er, als die Soldaten sie durch die Fahrzeugreihe führen. Irgendwo entfaltet sich die Folie einer Rettungsdecke. Thomas Lull legt sie Kij um die Schultern. Der Soldat weicht zurück. Er hat schon Kaih-Kampfhubschrauber gesehen und gegen Roboter gekämpft, aber dies macht ihm Angst. Besser so, denkt Thomas Lull, während er Kij zur Wagenburg der Truppentransporter führt. Für uns alle.
19 Mr. Nandha
Alle fünf Leichen haben die Fäuste hochgereckt. Mr. Nandha hat schon genug Feuertote gesehen, um zu wissen, dass es etwas mit Biologie und Temperatur zu tun hat, aber eine ältere, voraufgeklärte Sensibilität sieht sie, wie sie gegen wirbelnde Flammen-Djinns kämpfen. Am Ende muss es etwas Dämonisches gehabt haben. Das Apartment ist immer noch voller Ruß. In der Luft schwebt Polycarbon-Asche, Schwaden verdampfter Computergehäuse. Als sie sich auf Mr. Nandhas Haut absetzt, verschmiert sie zu feinem, schwarzem Kajal. Erst bei einer Temperatur von über eintausend Grad verwandelt sich Plastik in reinen Kohlenstoffruß.
Varanasi, die Stadt der Kremationen.
Die Pathologen ziehen an schwarzen Säcken die Reißverschlüsse zu. Sirenen von der Straßen, die Feuerwehr rückt ab. Jetzt liegt der Tatort in den Händen der Polizeibehörden, von denen das Ministerium an letzter Stelle steht. Die Jungs von der Spurensicherung rauschen an Mr. Nandha vorbei und zeichnen Videos mit ihren Palmern auf. Er hält sich unbefugt in einem fremden Zuständigkeitsbereich auf. Mr. Nandha hat seine eigene vertraute Methodik, und für ihn führen simple Beobachtungen und die Anwendung seiner Vorstellungskraft zu Einsichten und intuitiven Erkenntnissen, die sich niemals durch das polizeiliche Prozedere fassen lassen.
Die erste Sinneswahrnehmung, die das Verbrechen auslöst, ist der Gestank. Er konnte das verbrannte Fleisch und die ölige, süßliche, erstickende Note des geschmolzenen Kunststoffs bereits im Foyer riechen. Der Gestank überlagert alle anderen Wahrnehmungen, so dass sich Mr. Nandha konzentrieren muss, um daraus Informationen gewinnen zu können. Er öffnet seine Nasenlöcher für Hinweise, Widersprüche, subtile Kontraste, die ihm verraten könnten, was hier geschehen ist. Ein Kurzschluss irgendwo zwischen den vielen Computern war die erste Idee des Brandermittlers. Kann er das unverkennbare elektrische Prickeln aus der Mischung isolieren?
An zweiter Stelle kommt der Gesichtssinn. Was hat er gesehen, als er den Schauplatz des Verbrechens betrat? Zwei Türen, die von hydraulischem Werkzeug der Feuerwehr aufgehebelt wurden, die äußere mit dem Standard-Türblatt des Apartmentblocks und die innere, grüne aus stabilem Metall, mit Riegeln, die von den Brechstangen der Feuerwehr verbogen wurden. Sie konnten die Tür nicht öffnen? Haben sie sich so gut gesichert, dass
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