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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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sie sich selbst den Fluchtweg abgeschnitten haben? Auf der Innenseite der Tür wurde die Farbe versengt, so dass nacktes, verrußtes Metall zutage tritt. Weiter. Der kleine Vorraum, das Wohnzimmer, die Schlafzimmer, die sie als Speicherfarm genutzt haben. Die Küche mit Skeletten von Schränken und Regalen an den Wänden. Das Melaminharz ist abgeblättert, aber die Spanplatten sind intakt. Spanholz überlebt. Asche und Schwärze, alle Gegenstände miteinander verschmolzen. Die Fenster sind nach innen geplatzt. Ein Druckabfall? Das Feuer musste sich fast verausgabt haben. Nur noch schwarzer Rauch. Sie mussten erstickt sein, bevor die Fenster zersprangen und frischer Sauerstoff die Feuerdjinns wiederbelebte. Geschmolzene Stummel von Computerlaufwerken fließen ineinander. Vikram wird retten, was noch rettbar ist.
    Dann das Gehör. Dreitausend Menschen leben in dieser Wohnanlage, aber die Stille auf dem Stockwerk, wo es gebrannt hat, ist absolut. Nicht einmal das Zwitschern eines vergessenen Radios. Die Feuerwehrmänner haben die Absperrung aufgehoben, aber die Bewohner zögern noch, in ihre Apartments zurückzukehren. Es gibt Gerüchte, dass der Brand eine Racheaktion der Awadhis für das Shatabdi-Massaker war. Die Nachbarn zu beiden Seiten wurden erst aufmerksam, als die Wand heiß wurde und die Farbe Blasen warf.
    Dann der Tastsinn. Der schmierige, gerinnende Schmutz des Rußes im Haar. Eine schwarze, schwebende Spinnwebe lässt sich auf Mr. Nandhas Ärmel nieder. Er will sie abklopfen, doch dann erinnert er sich daran, dass sie zu zehn Prozent aus menschlichem Fett besteht.
    Als Fünftes der Geschmackssinn. Mr. Nandha hat die Technik von Katzen gelernt – die Nasenlöcher blähen, den Mund leicht öffnen, die Luft über den Gaumen streichen lassen. Es ist nicht besonders elegant, aber kleinen Jägern und Krishna Cops hilft es sehr gut.
    »Nandha, was machen Sie da?« Chauhan, der staatliche Pathologe, tütet die allerletzte Leiche ein und klatscht das Etikett auf den Plastiksack.
    »Ein paar vorbereitende Maßnahmen. Können Sie mir schon irgendwas sagen?«
    Chauhan zuckt mit den Schultern. Er ist ein Bär von einem Mann mit der kaltschnäuzigen Jovialität der Leute, die sich mit dem Innenleben von gewaltsam getöteten Mitmenschen beschäftigen.
    »Rufen Sie mich heute Nachmittag an, dann habe ich vielleicht etwas für Sie.«
    Vaish, der verantwortliche Inspektor der Polizei, blickt auf, ungehalten über das unbefugte Betreten.
    »Und sonst, Nandha?«, sagt Chauhan, während er zurücktritt und seine Leute in den weißen Anzügen den Sack auf eine Bahre heben. »Wie ich höre, rekonstruiert Ihre gute Ehefrau die hängenden Gärten von Babylon. Sie scheint ihr altes Dorf wirklich sehr zu vermissen.«
    »Wer sagt das?«
    »Ach, was halt so geredet wird«, antwortet Chauhan und macht sich Notizen zum vierten Opfer. »Seit der Party bei den Dawars spricht es sich herum. Eine interessante Frau. Also hat sie einen grünen Daumen, Nandha?«
    »Ich lasse einen Dachgarten anlegen, ja. Wir überlegen, ob wir ihn für Veranstaltungen, Abendessen oder Gesellschaften nutzen. In Bengalen sind Dachgärten groß in Mode.«
    »Bengalen? Dort ist vieles in Mode.« Chauhan betrachtet sich als gleichrangig mit Mr. Nandha, was Intellekt, Bildung, Karriere und Stellung betrifft. Abgesehen vom Ehestand. Mr. Nandha hat innerhalb der Jati geheiratet, Chauhan jedoch sehr weit darunter.
    Mr. Nandha betrachtet stirnrunzelnd die Decke. »Ich nehme an, dass diese Wohnung mit einem Halon-Feuerlöschsystem ausgestattet war?«
    Chauhan zuckt mit den Schultern. Inspektor Vaish erhebt sich. Er hat verstanden.
    »Haben Sie irgendetwas gefunden, das wie ein Schaltkasten aussieht?«, fragt Mr. Nandha.
    »In der Küche«, antwortet der Inspektor. Der Kasten befindet sich unter dem Waschbecken neben dem U-Rohr, an der umständlichsten Stelle. Mr. Nandha reißt die versengte Schranktür ab, hockt sich hin und leuchtet alles mit seiner Stifttaschenlampe aus. Diese Leute haben große Men gen an Mehrzweckreiniger benutzt. Für all die schwierigen Fälle, vermutet Mr. Nandha. Die Hitze ist sogar in dieses geschützte Kämmerchen eingedrungen, hat das Lötzinn und die Plastikabdeckungen gelockert. Mit ein paar Drehungen des Multifunktionswerkzeugs ist es aufgeschraubt. Die Serviceports sind intakt. Mr. Nandha schließt die AvatarBox an und ruft Krishna. Die Kaih bläht sich hinter der Enge des Waschbeckenunterschranks auf. Der Gott der kleinen häuslichen

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