Cyberabad: Roman (German Edition)
Cowneut-Boots mit Fünf-Zentimeter-Absätzen und den unentbehrlichen Perlenquasten, die an den Stiefelriemen baumeln. Die Jungs kommen ins Schwanken, die Mädchen werfen neidische Blicke, die Frauen in den Kaffeehäusern stecken die Köpfe zusammen und reden hinter vorgehaltener Hand, der Verkehrspolizist auf seinem Posten am Kreisverkehr dreht sich fast einmal im Kreis, als Thal in der Sonne mit den schwarzen Kontaktlinsen klappert. Es ist gut, so gut, so erstaunlich unerwartet und wunderbar und köstlich, wieder auf den Straßen von Patna unterwegs zu sein, unter der Sonne von Patna, den Smog von Patna einzuatmen, sich durch die Körper und Gesichter von Patna zu schlängeln, sich zum Patna-Mix in den Kopfhörern zu bewegen. Alles tanzt zum Mix. Alles ist ein Musical, jede zufällige Begegnung zwischen Passanten ist ein Mord oder ein Ehebruch oder ein Raubüberfall oder das Wiedersehen eines Liebespaars nach sehr langer Zeit. Die Kleidung ist fröhlicher, die Reklame strahlt heller, und alles steht kurz davor, in eine gewaltige Tanzeinlage auszubrechen, die ganze Stadt, nur für Thal. Ys betet zu Ardhanarishvara, der Gottheit der Neuts, dass ys als Erstes die Noo-Mode nach Varanasi bringt.
Varanasi. Und Männer, die Khan heißen. Und alles andere.
Für jene, die sich auskennen, gibt es das Schnellboot unten an den Glastürmen des Commercial Bund, das einen zum Sangam hinaufbringt, wo der Guru sys Geschäft betreibt. Das Boot ist ein Riva aus Mahagoni, bemerkt Thal anerkennend. Der zweifache Motor richtet den Riva auf den Tragflügeln auf und lässt ihn an den kriechenden kleinen Fähren und Schleppzügen vorbeischießen. Das Boot überquert den Hauptkanal und schert nach links aus, rast auf die große sandi ge Landzunge zu, wo sich der Gandak mit der heiligen Gan ga vereint. Auf diesem weiten Sanddelta und darum herum erhebt sich Bharats größte, billigste, schmutzigste und am wenigsten regulierte Freihandelszone. Die Larri-Gallas und Lagerhäuser aus Aluminiumblech drängten sich vor langer Zeit gegenseitig vom verfügbaren Land auf das Wasser ab, und nun wird der Sangam von verankerten Lastkähnen gesäumt, bis zu zwanzig nebeneinander. Hier leben Familien, die sich rühmen, nie einen Fuß auf festes Land gesetzt zu haben. Alles, was sie brauchen, um geboren zu werden, zu leben und zu sterben, finden sie im Labyrinth aus Landungsstegen und Niedergängen, die von Boot zu Boot führen.
Der Riva befördert Thal durch immer schmaler werdende Kanäle zwischen Stahlrümpfen, die mit immer besser werdenden Hindu-Texten bemalt sind, bis er sich in eine Fahrrinne zwängt, die kaum breit genug für das Boot ist, um schließlich neben einem alten Schlepper anzulegen, der den unwahrscheinlichen Namen Fugazi trägt. Dreißig Jahre lang hat die Fugazi Massengut von Kolkata flussaufwärts zu den neuen Industrien von Patna transportiert. Dann wurde sie von White Eagle Holdings aufgekauft und zum letzten Ankerplatz in der Freihandelszone Gangak gefahren, worauf ihre Maschinen ausgeschlachtet wurden. White Eagle Holdings ist ein höchst ehrenwertes Vermögensverwaltungsunternehmen mit Sitz in Omaha, Nebraska, das sich auf die Altersvorsorge von Beschäftigten im Gesundheitswesen spezialisiert hat. Der Firma gehören mehrere schwimmende Fabriken in Patna, die jene Art medizinischer Produkte herstellen, die bibelgläubige Wähler des Mittelwestens ihren Landsleuten vehement verbieten wollen. Hunderte von Industriebetrieben mit hohen Erträgen und geringer Legalität haben ihren Stammsitz in der FTZ Ganak: spezialisierte Piraten-Radiosender, Pharmafälscher, Datenaustauschdienste, Datenoasen, Emotika-Brauereien, Genbuster, Klonlabore, Zelltherapeuten, Darwinware-Dschungel, Ko pierschutzknacker, Devisentransferdienstleister, Marken-Ripper, Stammzellenfarmer, Pornokraten, mindestens eine Kaih der Generation 3 (strittig) und Nanak, der freundliche Doktor, das gute Neut, der Guru der süßen Messer.
Thal steigt nervös die steile Leiter hinauf und ist sich dabei der aufragenden Metallwand des Nachbarschiffs hinter sys Rücken bewusst. Ein Wirbel im Zusammenfluss der Ströme, und die schwankenden Wände aus Stahl würden ys wie ein rohes Ei zerquetschen. Ein Gesicht lugt über die Reling: Es ist Nanak, der gute Doktor, schäbig wie stets in sys Cargo-Shorts, die dreimal zu groß sind, dem an ihm klebenden Netztop und den großen Tank-Girlie-Stiefeln, grinsend wie ein heiliger Affe.
Sie umarmen sich. Sie berühren sich. Sie küssen
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