Cyberabad: Roman (German Edition)
Halskette angelegt und schleifen das wütende, kreischende Ding zum Gehege. Die silbrige Katze heult und klagt, bis jemand von der Schiedsrichterbank hinüberläuft und ihr einen Porenbetonstein auf den Kopf fallen lässt.
Muskeltop-Mädchen steht reglos da und beobachtet verdrossen, wie die zermatschte, zuckende Masse weggeschaufelt wird. Sie beißt sich auf die Unterlippe. In diesem Moment liebt Najia sie, und sie liebt den Jungen, mit dem sie Blickkontakt hatte, sie liebt jeden und alles in dieser Holzarena. Ihr Herz bebt, ihr Atem brennt, ihre Fäuste sind geballt und zittern, ihre Pupillen sind erweitert, und ihr Hirn strahlt. Sie ist zu achthundert Prozent lebendig und heilig. Wieder sucht sie den Blick des offensichtlichen Gangsters. Er nickt, aber sie erkennt, dass er einen schweren Verlust erlitten hat.
Die Sieger treten in den Ring, um die Bewunderung der Menge entgegenzunehmen. Der Ausrufer schreit in das Soundsystem, und auf den Bänken der Buchmacher schieben Hände Geld Geld Geld hin und her. Das ist es, sagt sie sich, weswegen du nach Bharat gekommen bist, Najia Askarzadah. Um Leben und Tod, Illusion und Realität auf genau diese Weise zu erleben. Um etwas zu haben, das dir das verdammte, vernünftige, tolerante Schweden wegbrennt. Um etwas Wahnsinniges und Unverfälschtes zu schmecken. Ihre Brustwarzen sind hart. Sie spürt, dass sie feucht ist. Es ist dieser Krieg, dieser Krieg ums Wasser, dieser Krieg, von dem sie leugnet, dass sie seinetwegen hier ist, dieser Krieg, von dem jeder befürchtet, dass er kommen wird. Sie fürchtet ihn nicht. Sie will diesen Krieg. Sie will ihn sehr.
5 Lisa
Vierhundertfünfzig Kilometer über dem Westen von Ecuador rennt Lisa Durnau durch eine Herde Bobbets. Sie stieben vor ihr auseinander, richten sich auf den kräftigen Beinen auf und schlagen die Hufe in den Boden, die Signalkämme erhoben. Das Blätterdach des Waldes wirft ihre trillernden Rufe zurück. Die grasenden Jungtiere schauen hoch, bäumen sich auf, kreischen und stürmen dann zu den Beuteln ihrer Eltern. Die hüfthohen Sauro-Marsupialen entfernen sich in zwei Fluchtschwärmen von Lisa, während die Jungen verzweifelt versuchen, kopfüber in die Bauchtaschen zu kriechen. Sie sind eine der erfolgreichsten Spezies von Biom 161. In den Wäldern im Simulationsjahr acht Millionen vor der Gegenwart pulsieren ihre schwarzen Herden. Alterre läuft mit hunderttausend Jahren pro Realjahr, so dass sie schon morgen ausgestorben sein könnten. Dieser hohe, feuchte Wolkenwald aus schirmförmigen Bäumen trocknet durch einen Klimawandel allmählich aus. Doch in diesem ökologischen Moment, in diesem Zeitausschnitt einer Welt, die in einer anderen Epoche, auf einer anderen Erde der Norden von Tansania sein wird, gehört der heutige Tag ihnen.
Die rennenden, hetzenden Bobbets schrecken eine Gruppe von Trantern auf, die sich auf die Hinterbeine erhoben haben, um die Blätter von einem Trudeau-Baum zu schlürfen. Die großen, langsamen Pflanzenfresser lassen sich auf die längeren Vorderbeine fallen und galoppieren unbeholfen davon. Ihre von gestreiftem Fell bedeckten Panzerplatten bewegen sich wie Maschinenteile. Tarnung von William Morris, denkt Lisa Durnau, Botanik von René Magritte. Die Trudeau-Bäume sind perfekte Halbkugeln aus Blättern, die gleichmäßig über die Ebene verteilt sind wie das Musterbeispiel einer statistischen Distribution. Einige Äste tragen Samenknospen, die in der Brise pendeln. Sie können ihre Samen über einen Hundert-Meter-Radius wie Flechette-Geschosse ausstreuen. Auf diese Weise kommt die mathematische Regelmäßigkeit zustande. Kein Trudeau wächst im Schatten eines anderen Baumes heran, aber das Blätterdach ist ein Füllhorn der unterschiedlichsten Spezies.
Schatten bewegen sich flackernd zwischen den Bäumen, als ein Schwarm parasitischer Beckhams von dem toten Tranter auffliegt, in den sie ihre Eier injiziert haben. Ein Ystavat stößt aus dem hohen Gleitflug nieder, jagt schwankend heran und fängt eine zu langsame Sauro-Fledermaus mit dem Hautnetz zwischen seinen Hinterbeinen. Eine Drehung, ein Hieb mit dem scharfen Schnabel, und der Jäger steigt wieder empor. Lisa Durnau rennt unverletzbar, unantastbar weiter. Kein Gott ist in seiner eigenen Welt sterblich, und während der vergangenen drei Jahre war sie die Regisseurin, die Bewahrerin und Schlichterin von Alterre, der Parallel-Erde, die ihre Evolution in beschleunigtem Zeitablauf auf elfeinhalb Millionen Computern der realen
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